Die Diamanten von Nizza
Coco, die einen Gesangsausbruch fürchtete, ließ ihren Vater abrupt stehen, schnappte sich Hubert und wirbelte mit ihm zur Mitte der Tanzfläche. Der verlassene Vater zuckte lächelnd mit den Achseln und gesellte sich zu Elena und Sam.
„Arme Coco“, sagte Elena. „Muss sie oft einschreiten?“
„Ich glaube nicht, dass ihr das etwas ausmacht. Lieber das als tatenlos danebenzustehen, wenn er singt. Genießen Sie beide den Abend?“
Sam nickte. „Ich denke, genau wie alle anderen, weitgehend dank Coco. Sie hat wirklich hart gearbeitet. Ich hoffe, dass sie sich in SaintTropez ein wenig ausruhen kann.“
Alex schüttelte den Kopf. „Leider müssen wir beide schon am Montag zu einer Geschäftsbesprechung in Paris sein. Einer meiner Freunde hat hier ganz in der Nähe ein Anwesen gekauft, und Coco möchte ihm einige ihrer Ideen präsentieren. „Er blickte zur Tanzfläche hinüber. „Wie ich sehe, ist es ihr gelungen, Hubert von der Band fernzuhalten – ich gehe besser mal rüber und helfe ihr, ihn an die Bar zu lotsen.“
Mit einem letzten pathetischen Schnörkel der Gitarre brach die Musik jäh ab und wurde von einem Trommelwirbel ersetzt. Stanislavska, die häufiger Gast an der Bar gewesen war, stand in der Mitte der Tanzfläche, einen Arm hoch erhoben. Langsam beugte sie sich herab und bekam den Saum ihres langen Kleides zu fassen. Das Getrommel wurde fortgesetzt, als sie, Stück für Stück, das Kleid bis zu den Hüften hochzog und ihre Schuhe wegkickte. – „Folgt jetzt ein Chanson, so ähnlich wie in dem Film Cabaret?“, erkundigte sich Sam.
„Nun, ich glaube kaum, dass sie singt.“
Das tat sie auch nicht. Stattdessen führte sie ihrem gebannten, überwiegend männlichen Publikum einen Spagat im Zeitlupentempo vor. Ein letzter Trommelwirbel, und die Showeinlage war beendet. Einen Moment lang herrschte atemloses Schweigen, dann brandete Beifall auf, als sie sich erhob, verneigte, ihre Schuhe aufsammelte und von der Tanzfläche verschwand.
„Das ist definitiv besser als Singen“, erklärte Sam. „Was glaubst du, würde sie als Zugabe machen?“
Ein paar Minuten nach Mitternacht unterhielten sich Mimi und Sam gerade mit Kathy, als sie sahen, wie ein Wagen die Zufahrt hinauffuhr. Mimi brachte ihre Kamera in Anschlag. Sam blinzelte, geblendet von den Scheinwerfern. „Komische Zeit, um auf einer Party aufzukreuzen.“
Kathy lächelte. „Das sind keine Gäste. Das ist unser Sicherheitsdienst. Großartige Jungs – sie tauchen jede Stunde auf, die ganze Nacht lang.“Sie wandte sich an Mimi. „Ich bin sicher, sie würden sich gerne fotografieren lassen.“Sie gab ihnen ein Zeichen, aus dem Auto zu steigen.
Mimi platzierte die Wachmänner am Rande der Zufahrt zwischen zwei lodernden Fackeln. „ Alors“, sagte sie. „Jetzt seht mal schön martialisch aus.“
Die beiden setzten ihre Sonnenbrillen auf, drückten den Brustkorb heraus, machten ein finsteres Gesicht und verschränkten die Arme. „Perfekt“, sagte Mimi. „Ich gebe Madame Fitzgerald Abzüge.“
Zu dem Zeitpunkt, als sie sich wieder unter die Gäste mischten, begann die Party auszuklingen. Die Band spielte eine langsame, roman- tische Melodie nach der anderen, und es war Zeit für die ersten Verabschiedungen. Wieder war die Nachtluft erfüllt von den Geräuschen der Luftküsse, den gemurmelten Freundschaftsgelöbnissen und dem Austausch von Einladungen zum Mittag- und Abendessen, die häufig die letzten Augenblicke einer erfolgreichen Party prägen.
Doch für Fitz war der Abend noch nicht vorüber. Er hatte seine Privatbar geplündert und einen Cognac von 1936 ausgegraben, nach seiner Meinung die einzig angemessene Art, den Tag zu beenden. Seine erschöpften Hausgäste lehnten dankend an, sie hatten auch so schon zu viel des Guten intus, und so musste Fitz mit Kathy, Mimi, Elena, Philippe und Sam vorliebnehmen.
Die flambeaux f lackerten, der Mond stand hoch am Firmament, und der Duft der Blumen war genauso sanft und betäubend wie der Cognac. Es war einer dieser seltenen Momente des kollektiven Wohlbefindens, begleitet von einer langen Phase wunschlos glücklicher Stille, die schließlich von Fitz unterbrochen wurde.
„Toller Abend“, sagte er. „Ihr Damen habt alle umwerfend ausgesehen.“Er blickte zu Kathy hinüber und zwinkerte ihr zu. „Gut zu sehen, dass diese Juwelen endlich mal an die frische Luft kommen.“
„Da kann ich nur zustimmen“, meinte Sam. „Das war ein Anblick, der einem die Sprache verschlägt.“Er nippte nachdenklich an seinem Cognac. „Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Ihnen einen Tipp gebe, aber ich würde Ihnen dringend davon abraten, das Geschmeide nach Saint-Tropez mitzunehmen. Es gab den einen oder anderen Zwischenfall mit den Ho- telsafes an der Küste, die nicht allzu sicher waren, wie sich herausstellte.“
Kathy nickte. „Sie haben ja so recht! Deshalb habe ich den Damen eingeschärft, dass wir uns alle mit unserem Strandschmuck begnügen und den fürs Ausgehen sozusagen hierlassen sollten. Fitz hat einen neuen Safe installiert – so groß wie ein Zinksarg mit einer faustdicken Tür. Außerdem haben wir diese Sicherheitstypen. Falls jemand einzubrechen versucht, sind sie in zwei Minuten zur Stelle. Ich denke also, alles ist bestens geregelt.“
„Gut“, erwiderte Sam. „Oh, bevor ich es vergesse. Es gibt ein hervorragendes Strandrestaurant in der Nähe Ihres Hotels, Le Club 55. Ganz locker – Sie können im Bikini zu Mittag essen.“
Fitz grinste und tätschelte seinen Bauch. „Das werde ich mir merken.“
24. KAPITEL
Sam und Reboul hatten es sich inzwischen zur Gewohnheit gemacht, das Frühstück gemeinsam einzunehmen, die einzige Zeit, in der sie wie zwei Marseiller Fischweiber darüber tratschen konnten, was sie am Vorabend getan und wen sie getroffen hatten. An diesem Morgen, dem Tag nach der Party, herrschte kein Mangel an passenden Themen: Nina de Monforts freizügiges Dekolleté; Stanislavskas denkwürdiger Spagat; Hubert, der frustrierte Schnulzensänger; die atemberaubende Diamantenschau, die Kathy und ihre Hausgäste veranstaltet hatten; und nicht zu vergessen die Entscheidung, das kostbare Geschmeide am Wochenende zu Hause zu lassen.
(Fortsetzung folgt)