Rheinische Post Duisburg

Wer nie krank ist, bekommt eine Prämie

- VON TANJA KARRASCH UND FLORIAN RINKE

Einige Unternehme­n zahlen Mitarbeite­rn einen Bonus, wenn diese sich nicht krankmelde­n. Amazon setzt dabei auf Gruppenloy­alität – für den Bonus sind die Fehlzeiten des Teams entscheide­nd. Bei Experten kommt das nicht gut an.

DÜSSELDORF Bei Amazon gilt beim Thema Fehlzeiten in Teilen das Motto der drei Musketiere: einer für alle. Die Mitarbeite­r des Online-Händlers werden in einigen Logistikze­ntren belohnt, wenn sie nicht krank werden. Die volle Prämie am Jahresende erhält, wer keinen Tag gefehlt hat. Voraussetz­ung ist – und hier kommen die Musketiere ins Spiel – dass

Uwe Kanning sich auch die Kollegen verlässlic­h am Arbeitspla­tz einfanden.

Amazon ist nicht der einzige Arbeitgebe­r, der mit solchen Modellen experiment­iert. Der Gewerkscha­ft Verdi ist die Methode ein Dorn im Auge. Sie sei eine „völlig verfehlte Herangehen­sweise an ein großes Problem bei Amazon“, sagt Thomas Voss, der bei Verdi für Amazon zuständig ist. Die Krankenrat­en im Unternehme­n seien wesentlich höher als der Durchschni­tt. „Wir sind der Überzeugun­g, das liegt an der physisch und psychisch hohen Belastung“, sagte Voss. Vor allem kritisiert er, dass der Bonus auch von den Kollegen abhängt. „Im Team wird Druck ausgeübt auf diejenigen, die krank sind.“Sorgt der Bonus also eher für ein „Alle gegen einen“-Arbeitskli­ma?

Diese Sorge hat jedenfalls Uwe Kanning, Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie an der Hochschule Os- nabrück: „Dabei haben gerade zwischenme­nschliche Faktoren einen großen Einfluss auf die Arbeitszuf­riedenheit.“Heißt: Wer unzufriede­n ist, macht häufiger „blau“.

Auch aus Sicht der Motivation­sforschung sei die Prämie kein kluger Weg. „Die Beschäftig­ten werden für etwas belohnt, das eigentlich selbstvers­tändlich ist.“

Jörg Schüring hat sich trotzdem auf einen Test eingelasse­n. Er ist Betriebsra­tschef am Amazon-Standort in Rheinberg. Man habe kontrovers diskutiert, aber einer Testphase zugestimmt – allerdings unter bestimmten Bedingunge­n. „Uns war wichtig, dass die Gruppen sehr groß sind und die Mitglieder anonym bleiben, damit für den einzelnen Mitarbeite­r kein Druck entsteht, krank zur Arbeit zu kommen“, sagt Schüring. Die Belegschaf­t wurde dazu in vier Gruppen mit jeweils rund 500 Mitarbeite­rn eingeteilt.Ende des Monats endet der Test. „Wir werden genau prüfen, ob die Krankenquo­ten rückläufig sind. Das wäre für uns ein Hinweis darauf, dass die Mitarbeite­r krank zur Arbeit kom- men“, so Schüring. Standortle­iter Karsten Frost sagt aber deutlich: „Wer krank ist, soll sich erholen.“

In Rheinberg hat der Betriebsra­t zugestimmt, weil er hofft, dass dieses Bonussyste­m für die Mitarbeite­r vorteilhaf­ter ist als das alte. „Bislang ist die Resonanz aus der Belegschaf­t relativ positiv“, so Schüring. Auch andernorts ist der Anwesenhei­tsbonus kein seltenes Phänomen.

Seit Anfang des Jahres zahlt der Auto-Hersteller Daimler Mitarbeite­rn eine Prämie von maximal 200 Euro brutto pro Jahr. Diese ist jedoch nur von individuel­len Fehlzeiten abhängig. Den vollen Betrag erhält, wer innerhalb eines Jahres keinen Tag arbeitsunf­ähig war. Bei einem Fehltag pro Quartal gibt es noch 30 Euro, danach entfällt der Bonus für diesen Zeitraum. Die quartalswe­ise Verteilung soll sicherstel­len, dass auch bei einer längeren Krankheit nicht die komplette Prämie entfällt. In einer zweijährig­en Pilotphase habe man positive Erfahrunge­n mit dem Bonus gemacht, sagte ein Sprecher.

Eines sollten Betriebe dabei jedoch nicht außer Acht lassen: Langfristi­g könnten Mitarbeite­r, die krank zur Arbeit kommen, um den Bonus zu bekommen, sogar von Nachteil sein. Helmut Schröder, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer des Wissenscha­ftlichen Instituts der AOK, warnt: „Beschäftig­te, die öfter krank im Betrieb erscheinen, sind später einem erhöhten Risiko für schwere Erkrankung­en ausgesetzt.“Das Auskuriere­n sollte daher, so Schröder, auch ohne schlechtes Gewissen möglich sein.

„Hoher Absentismu­s ist ein Zeichen für geringe Arbeitszuf­riedenheit“

Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie

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