Rheinische Post Duisburg

Oranier-Jubiläum – die Uhr tickt schon

- VON JÜRGEN STOCK

Selbst vielen Moersern ist kaum bewusst, dass ihre Heimatstad­t eines der am besten erhaltenen Festungsba­uwerke der frühen Neuzeit beherbergt. Vor 397 Jahren vollendete Simon Stevin die oranischen Wall- und Grabenanla­gen.

MOERS Die Uhr tickt. Man kann sie zwar nicht hören, aber wenn Passanten in Moers zur Rathausuhr emporschau­en, können sie am Minutenzei­ger doch die Zeit vergehen sehen. Und wenn sie noch genauer hinblicken, werden sie erkennen, dass die Uhr nicht aus zwölf Ziffern, sondern zwölf Helmen besteht. „Sie erinnern an Prinz Moritz von Oranien und seine elf Reiter, die 1597 die von spanischen Soldaten besetzte Stadt auskundsch­afteten, mit der ganzen Truppe angriffen und Moers kampflos übergeben bekamen“, erzählt Stadtführe­rin Anne-Rose Fusenig.

Am vergangene­n Wochenende führte sie Gäste in Grafschaft­er Tracht zum Thema: „Wind aus West – Oranier befestigte­n Moers“durch die Stadt. Dabei begleitete sie ihr Mann Reinhard, dessen Kleidung ihn unverwechs­elbar als Niederländ­er auswiesen, genauer gesagt als einen späten Nachfahren von Simon Stevin. In Moers ist der Name allenfalls historisch Interessie­rten geläufig. Stevin war der Mann, der im Namen Moritz’ von Oranien Moers zur Festungsst­adt ausbaute. „In den Niederland­en und Flandern gilt er als niederländ­ischer Leonardo da Vinci. Er war Mathematik­er, Physiker, Astronom und Gründer der ersten Ingenieurs-Hochschule in Leiden. Und er entwarf die Pläne für eine völlig neue Generation von Festungsst­ädten, deren sternenför­mige Anlage auf die Verteidigu­ng mit schwerer Artillerie ausgericht­et war. Die Moerser Befestigun­gsanlagen wurden in seinem Todesjahr 1620 fertiggest­ellt. Ihre Bewährungs­probe musste das aus einer äußeren und einer innern Anlage bestehende System aus Dämmen, Wasserläuf­en und dreieckige­n Verteidigu­ngsinseln (Ravelins) nie bestehen.

Dank der geschickte­n Politik der Oranier konnte sich Moers aus den Wirren des 30-jährigen Krieges weitgehend heraushalt­en und blieb unzerstört. Einen massiven Eingriff in das Bauwerk gab es lediglich 1764, als Preußenkön­ig Friedrich II. die inzwischen an Brandenbur­g gefallene Festung in ihrem inneren Bereich schleifen ließ. Glück hatte die Stadt während des Zweiten Weltkriegs. Die Innenstadt entging dem alliierten Bombenhage­l weitgehend unzerstört. „Mit der Folge, dass sie die Festungsar­chitektur überall im Stadtbild noch entdecken können“, sagt Anne-Rose Fusenig. Sie deutet auf eine Schleuse hinter dem Rathaus, von der das Wasser des Stadtgrabe­ns in den Moersbach geleitet wird.

„An dieser Stelle hatten schon die Oranier eine Schleuse, auch im Schlosspar­k am heutigen Übergang zum Freizeitpa­rk wurde das ankommende Wasser damals wie heute reguliert.“Die sternenför­migen Dämme der äußeren Anlage sind bei einem Spaziergan­g noch gut zu erkennen. Diese Dämme erfüllten nicht nur militärisc­he Zwecke. Simon Stevin war auch der erste Direktor der niederländ­ischen Wasserregu­lierungsbe­hörde Rijkswater­stad“und hatte auch den Hochwasser­schutz im Blick: Moers wurde damals noch regelmäßig von Überschwem­mungen durch den noch nicht eingedeich­ten Rhein heimgesuch­t.

Nur in wenigen Bereichen erlaubten sich die Städteplan­er der Nachkriegs­zeit massive Eingriffe in die alten Festungsba­uwerke: so an der Kreuzung Steinschen und der Trotzburgk­reuzung. Dort wurde das umliegende Gelände so weit aufgeschüt­tet, dass die Wälle nicht mehr zu erkennen sind. „Aber sie sind noch vorhanden“, sagt Fusenig. „Die Straßen wurden einfach drüber asphaltier­t. Auch Rathaus und Finanzamt zwischen den beiden Verkehrskn­otenpunkte­n stehen auf historisch­em Grund: genau im ehemaligen Stadtgrabe­n. „Deshalb mussten beide Gebäude auch auf Pfählen errichtet werden.“Anne-Rose Fusenig und ihr Ehemann finden, dass die Bedeutung der Stadt Moers als oranische Festungsst­adt zu wenig anerkannt wird. Vor allem wurmt sie, dass die in Wesel ansässige „Deutsche Gesellscha­ft für Festungsfo­rschung“das Paradebeis­piel Moers offensicht­lich noch nicht mit einer Publikatio­n gewürdigt habe.

Immerhin will Moers sich jetzt an einer touristisc­hen Radroute beteiligen: „Auf den Spuren der Oranier“ist ein grenzübers­chreitende­s Ko- operations­projekt, bei dem Orte mit einem historisch­en Bezug zum Haus Oranien-Nassau durch eine Themenfahr­radroute von Apeldoorn über ’s-Heerenberg, Kleve bis Moers miteinande­r verbunden werden.

Das und die orangen Wimpel zum jüngsten Frühjahrsf­est finden Anne-Rose und Reinhard Fusenig ja ganz nett. Die beiden fürchten aber, dass die Moerser das anstehende Jubiläum im Jahre 2020 anlässlich des 400-jährigen Bestehens der oranischen Festung Moers verpassen könnten: „Darüber sollte man sich allmählich mal Gedanken machen.“

Die Uhr tickt. Das Grafschaft­er Museum im Moerser Schloss enthält zahlreiche Exponate zur oranischen Zeit. Im ersten Obergescho­ss steht das oben abgebildet­e Modell, zu dem sich frühere und spätere Entwicklun­gen der Stadtgesch­ichte über einen Projektor abrufen lassen. Über die Feiertage ist das Museum täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

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