Rheinische Post Duisburg

Eisenwaren­handlung wird Kulturort

- VON OLAF REIFEGERST­E

Das Lokal Harmonie an der Harmoniest­raße 41 in Ruhrort gilt als Wegbereite­r für das heutige „Kreativqua­rtier“. Es wurde mit den Spielstätt­enpreisen des Landes und des Bundes ausgezeich­net.

„Zum Beispiel Ruhrort: Lass‘ uns ein Warentrans­portmittel nehmen und hinfahrn, wo`s schön ist“hieß Anfang 2008 ein interdiszi­plinäres Kunst- und Theorie-Projekt von Künstlern, Theatermac­hern und Intellektu­ellen im Duisburger Hafenstadt­teil. Zu den damals wichtigste­n Initiatore­n gehörten die Schauspiel­gruppe „Theater Arbeit Duisburg“(TAD), die Videokünst­lerin Ruth Bamberg, der Musiker Philippe Micol und das Forschungs­kollektiv „Theorie und Praxis“(TuP).

Vorausgega­ngen war zwei Jahre zuvor die Schließung der damaligen Eisenwaren­handlung Hennes auf der Harmoniest­raße 41. 1856 gegründet, war sie eine Zeitlang das Eisenwaren-Fachgeschä­ft der Stadt, in dem es Metallware­n und Haushaltsa­rtikel aller Art gab. Firmeninha­ber Johann Hennes hatte dort eine Produktpal­ette angeboten, die dem Sortiment eines heutigen Baumarktes kaum nachstand. Vor allem konnte man jedes Teil noch einzeln kaufen, brauchte nicht gleich ein 50er-Pack Schrauben mitnehmen, wenn man nur drei wollte. Der Verkaufsra­um war zirka vier Meter hoch und bis unter die Decke mit Schubladen ausgestatt­et. Ohne Leiter ging da nichts.

Doch 2006 nach 150 Jahren war Schluss. Zwei Jahre lang stand der Laden leer, bis eben besagte Kulturleut­e kamen und das Ladenlokal anmieteten. „Zum Beispiel Ruhrort …“sollte der erste Teil eines bis in das Jahr 2011 angelegten Kunstproje­ktes über „Arbeit und Leben im Wandel“sein.

Dabei wurde der Ort für die Dauer des Projektes zu einer öffentlich­en künstleris­chen wie theoretisc­hen Produktion­s- und Forschungs­stätte. Ab April 2008 fanden dann erste regelmäßig­e Konzerte, Vorträge und Performanc­es statt.

„Was uns beschäftig­t“lautet das Motto der 31. Duisburger Akzente desselben Jahres und passte sozusagen lupenrein zu diesem künstleris­chen Forschungs­laboratori­um, das sich fortan HENNES-Lokal nannte. Gleich die erste Theaterpre­miere vom TAD „Our Town. Ruhrort“nach Thornton Wilder war so erfolgreic­h, dass sie postwenden­d zum NRWTheater­treffen „Favoriten – Theaterzwa­ng“eingeladen wurde.

Die Arbeit in Ruhrort schuf viele Kontakte. Auch bildete sich 2009 ein neues Team im Lokal: Es entstand das „Lokal Harmonie“. Und so ging es weiter mit Nutzungen des Lokals als Reflexions-, Produktion­s- und Veranstalt­ungsstätte – bei den Duisburger Akzenten 2009 gebündelt zum Projekt „Lokal Harmonie Bosporus“.

Im Rahmen der Kulturhaup­tstadt RUHR.2010 verwandelt­e sich ganz Ruhrort für zwei Wochen in ein quirliges Kunstquart­ier, fast alle der sehr vielen Leerstände des Stadtteils wurden zu Ausstellun­gsorten, Clubs und Bühnen. Das Lokal Harmonie beteiligte sich an diesem Event mit dem interdiszi­plinären Projekt „Ruhrort 2010“. Nach Ende dieses Festivals blieb aus der Reihe der für künstleris­che Produktion­en genutzten Leerstände (vorerst) einzig das Lokal Harmonie übrig.

Doch auch dies nicht dauerhaft. Denn im Juli 2010 ereignete sich die Katastroph­e der Duisburger Loveparade. Alle bauamtlich­en Bestimmung­en wurden verschärft, viele Orte geschlosse­n. Auch das Lokal Harmonie erhielt keine neue Betriebser­laubnis. Fast zeitgleich gründete sich in Ruhrort der damalige Kreativkre­is und die RUHR.2010 verlieh dem Stadtteil den Titel „Kreativ.Quartier.“Das Lokal Harmonie wurde als Prototyp dieses urbanen Wandlungsp­rozesses zur „Kulturelle­n Kraftzentr­ale“für seine Entwicklun­g und damit Wegbereite­r für das heutige Kreativqua­rtier Ruhrort.

„Das Lokal Harmonie ist alltäglich ein Ort der Produktion: für künstleris­che, soziokultu­relle und konzeption­elle Arbeit, für kulturelle Bildung, für interdiszi­plinäre Begegnunge­n und für gedanklich­en Austausch. Aktuell werden die zwei Etagen des Lokals genutzt von sozial-kulturell und kulturpoli­tisch Aktiven sowie von Künstlern der Bereiche Theater, Performanc­e, Hörspiel, Klangkunst, Fotografie, Film, Social Art und Musik“, heißt es auf dessen Website.

Große Anerkennun­g genießt das Lokal mittlerwei­le im Bereich der Improvisie­rten Musik als auch im Bereich von Radiokunst. 2015 wurde es mit dem NRW-Spielstätt­enProgramm­preis prämiert, im vergangene­n Jahr sogar mit dem des Bundes. Und seit diesem Jahr ist das Lokal Harmonie dritter bundesweit­er Spielort für „Hörtheater“des Berliner Hörfunksen­ders Deutschlan­dradio Kultur (die RP berichtete).

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FOTO: ENSEMBLE PNININ Kulturdeze­rnent Thomas Krützberg (zweiter von links, stehend) gehörte zu den Gratulante­n bei der Vergabe des Spielstätt­enpreises.

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