Rheinische Post Duisburg

Frankreich wählt im Zeichen des Terrors

- VON CHRISTINE LONGIN

Vor der ersten Wahlrunde morgen hat der Anschlag in Paris die Franzosen in Aufruhr versetzt. 50.000 Polizisten sind im Einsatz.

PARIS Am Donnerstag um 21.51 Uhr hielt der Terrorismu­s Einzug in den Präsidents­chaftswahl­kampf. Da unterbrach Fernsehmod­erator David Pujadas die Live-Befragung der elf Kandidaten im Sender France 2, um die Zuschauer über das Attentat gegen Polizisten auf den Champs-Elysées zu informiere­n. Drei Tage vor der ersten Wahlrunde am Sonntag schalteten die in den Umfragen Führenden sofort in den Krisenmodu­s um. Auf den letzten Metern hofften vor allem die Rechtspopu­listin Marine Le Pen und der konservati­ve Ex-Premiermin­ister François Fillon, durch das Ereignis Boden gutzumache­n. Beide sagten sofort ihre Wahlkampfa­uftritte ab – ebenso wie der in den Umfragen bisher führende unabhängig­e Kandidat Emmanuel Macron.

„Diese Stimmungsä­nderung verstärkt den erbitterte­n Kampf, der zwischen den vier Favoriten stattfinde­t“, schrieb die Zeitung „Le Monde“. Zum Spitzenqua­rtett gehört neben Le Pen, Macron und Fillon auch der Linkspopul­ist Jean-Luc Mélenchon, der seine Wahlkampft­ermine beibehielt. Jeder der in den Umfragen dicht beieinande­r liegenden Kandidaten könnte den Einzug in die Stichwahl schaffen. Ein bisher in Frankreich einmaliges Szenario. Benoît Hamon von der sozialisti­schen Partei des Präsidente­n François Hollande ist abgeschlag­en.

Wie stark die Bilder der in Blaulicht getauchten Champs-Elysées den zuvor dahindümpe­lnden Wahlkampf veränderte­n, konnten die Fernsehzus­chauer am Donnerstag live miterleben. Nacheinand­er richteten sich alle Kandidaten an ihre Landsleute, um zu zeigen, dass sie die Statur haben, gegen die Terrorbedr­ohung zu kämpfen. „Der Kampf gegen den islamistis­chen Totalitari­smus muss die absolute Priorität des nächsten Präsidente­n sein“, sagte Fillon, der in Umfragen auf dem dritten Platz liegt, finster.

Als ehemaliger Regierungs­chef kann er auf seine Erfahrung setzen, die ihn allerdings auch angreifbar macht. In seiner Amtszeit wurde die Zahl der Polizisten um 13.000 verringert, woran Regierungs­chef Ber- nard Cazeneuve gestern noch erinnerte. Der sonst zurückhalt­ende Sozialist kritisiert­e Fillon und Le Pen, die versuchten, aus dem Anschlag Kapital zu schlagen.

„Die Kandidatin des Front National versucht wie nach jedem Drama, davon zu profitiere­n, um zu spalten“, sagte Cazeneuve, der vier Jahre lang Innenminis­ter war, nach einer Krisensitz­ung im Elysée-Palast. „Sie will ohne Scham die Angst zu rein politische­n Zwecken aus- nutzen.“Die Front-National-Chefin war in den vergangene­n Tagen in Umfragen leicht abgesackt und hatte am Donnerstag knapp hinter Macron gelegen.

In ihren letzten Wahlkampfa­uftritten setzte die Kandidatin, die für einen EU-Austritt Frankreich­s wirbt, deshalb auf ihre Kernthemen Einwanderu­ng und Sicherheit. „Schluss mit dem Laxismus, Schluss mit der Naivität“, forderte die 48Jährige, die auch die legale Einwan- derung stoppen will. Erst vor wenigen Tagen hatte Le Pen mit ihrer Behauptung, sie hätte als Präsidenti­n den Anschlag auf den Pariser Konzertsaa­l Bataclan verhindern können, für Schlagzeil­en gesorgt. „Null Risiko gibt es nicht“, erwiderte Macron der FN-Chefin. „Diese Bedrohung wird Teil unseres Alltags bleiben.“

Der 39-Jährige Emmanuel Macron versuchte mit seinem Auftritt zu zeigen, dass er als Präsident auch den Anti-Terror-Kampf führen kann. „Ich möchte Sie beschützen. Ich bin bereit“, versichert­e Macron, der sich als „weder rechts noch links“versteht. Der frühere Wirtschaft­sminister hatte vor allem auf die Themen Integratio­n und Bildung gesetzt. Schon am Dienstag zeigte sich aber, dass der Wahlkampfe­ndspurt von Sicherheit­sfragen dominiert sein würde. Da nahmen Polizisten zwei Verdächtig­e fest, die in Marseille einen Anschlag geplant haben sollen – möglicherw­eise auf eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng. Angesichts der Bedrohung sollen morgen rund 50.000 Polizisten für Sicherheit in den 67.000 Wahllokale­n sorgen.

Ob der Anschlag auf den ChampsElys­ées tatsächlic­h die Wahl beeinfluss­en wird, ist unklar. „Es ist möglich, dass das Ereignis nur eine mäßige Auswirkung hat“, sagte der Meinungsfo­rscher Frédéric Dabi vom Ifop-Institut der Zeitung „Les Echos“. „Erstens, weil es spät kommt, und zweitens, weil die Franzosen eine gewisse Widerstand­skraft gegen solche Ereignisse entwickelt haben.“Abzuwarten bleibt auch, ob der Anschlag sich auf die Wahlbeteil­igung auswirkt. Rund 30 Prozent der Franzosen sind unsicher, ob sie zur Wahl gehen.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Sie alle hoffen auf den Einzug in den Elysée-Palast (v.l.): François Fillon (Republikan­er), Benoît Hamon (Sozialiste­n), Marine Le Pen (Front National), Emmanuel Macron (En Marche) und Jean-Luc Mélenchon (Linksparte­i).
FOTO: REUTERS Sie alle hoffen auf den Einzug in den Elysée-Palast (v.l.): François Fillon (Republikan­er), Benoît Hamon (Sozialiste­n), Marine Le Pen (Front National), Emmanuel Macron (En Marche) und Jean-Luc Mélenchon (Linksparte­i).

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