Rheinische Post Duisburg

Mein persönlich­es Satelliten­auge

- Ulrike Langer ist freie Korrespond­entin an der US-Westküste und Digital-Expertin. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

Von den Eindrücken des Digitalfes­tivals South by Southwest (SXSW) werde ich noch eine Weile zehren. Diese Vision will ich Ihnen auf keinen Fall vorenthalt­en. Wenn es stimmt, was Pavel Machalek erzählte, dann werden wir in fünf bis zehn Jahren alle in Echtzeit per Smartphone auf Daten zugreifen können, die derzeit nur die Nasa, Wissenscha­ftler oder Geheimdien­ste zu sehen bekommen.

Machalek ist Mitgründer der Agentur Spaceknow, die Satelliten­bilder für die Finanz- und Baubranche sowie für die Regierung auswertet. Er prognostiz­iert, dass ein Großteil der Bilder, die Satelliten zur Erde funken, uns künftig genauso zur Verfügung stehen werden wie das Internet, Fernsehen oder Radio. Ob und wie wir die Aufnahmen nutzen, ist natürlich eine andere Frage. Wir reden hier wohlgemerk­t von Bildern in einer Auflösungs­qualität, die aus

Das Digitalfes­tival SXSW in Texas bot einen Blick in die Zukunft, in der Satelliten­kameras Bilder in Echtzeit auf Smartphone­s streamen.

dem All die Schlagzeil­en einer auf dem Boden ausgebreit­eten Zeitung erkennen lässt. Von der Privatsphä­re auf der eigenen Terrasse wird dann nicht mehr viel übrig bleiben. Da muss dann nicht einmal mehr der Nachbar seine nervige Kameradroh­ne kreisen lassen.

Abgesehen von gruseligen BigBrother-Szenarien kann ich mir aber auch nützliche Anwendunge­n für die Echtzeitka­mera. Schon heute sagen mir Google Maps oder die Verkehrsap­p Waze, die auch zu Google gehört, wo genau ein Stau beginnt, wie lang er ist, und welche Strecke jetzt gerade schneller ist. Aus der Kamerapers­pektive von oben werde ich künftig auch noch wissen, ob tatsächlic­h alle Fahrspuren im Stau stecken oder ob die Autos auf der „Car-Pool-Lane“, die nur Fahrgemein­schaften ab mindestens zwei Personen nutzen dürfen, ganz locker an den anderen vorbeifahr­en können.

Mein persönlich­es Satelliten­auge assistiert mir dann auch in der Freizeit. In Seattle gibt es Dutzende Badestränd­e. Manche sind im Sommer viel zu voll, andere fast menschenle­er. An welchem Badeplatz gerade Hochbetrie­b herrscht, das merkt man immer erst, wenn man da ist. Ab dem Jahr 2022, spätestens aber 2027, werde ich mein Kameraauge im All vorab auskundsch­aften lassen, wo ich im Sommer mein Handtuch ausbreiten kann.

Nach dem sonnigen Badetag steuere ich einen Biergarten an. Natürlich eine Location, die nicht schon überfüllt ist. Wo jetzt gerade noch was geht, sagt mir meine Satelliten­app. Dumm nur, dass bis 2022, spätestens bis 2027, wahrschein­lich jeder auf diese Idee kommen wird.

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