Rheinische Post Duisburg

Zwei Verdächtig­e – zum Verwechsel­n ähnlich

- VON RITA KLEIN

Im Prozess um den Tod des 17-jährigen Niklas gibt es eine unerwartet­e Wende: Die Staatsanwa­ltschaft ist sich nicht mehr sicher, ob der Richtige auf der Anklageban­k sitzt.

BONN Niklas’ Mutter ist nicht anzumerken, was in ihr vorgeht, als der Staatsanwa­lt zu Beginn seines Plädoyers erklärt: „Ich beantrage Freispruch für den Angeklagte­n, denn ich kann nicht mit der nötigen Überzeugun­g sagen, dass er es war, der Niklas mit seinem Schlag tödlich verletzt hat.“Es sei auch denkbar, dass es ein anderer war, sagte Florian Geßler – und meint den wieder in den Fokus gerückten Tunesier Hakim D., der zur Tatzeit am Tatort gesehen worden war und dem die Jacke mit Niklas’ Blut gehört, die beim Angeklagte­n Walid S. gefunden worden war.

Obwohl sich im Prozessabz­eichnete, wie brüchig die Beweislage war, kommt dieser Antrag doch überrasche­nd. Und führt zwangsläuf­ig zu der Frage: Bleibt der Tod von Niklas, der am 7. Mai 2016 in Bonn-Bad Godesberg von drei Tätern attackiert und von einem so gegen den Kopf geschlagen worden war, dass er eine Woche später starb, nun ungesühnt? Staatsanwa­lt Geßler, der den zur Tatzeit noch 20- jährigen Walid S. als mutmaßlich­en Haupttäter wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge auf die Anklageban­k brachte, kann auf diese Frage keine Antwort geben. Dem als Schläger polizeibek­annten Walid S. sei eine solche Tat zwar zuzutrauen, denn er habe schon mehrere Taten begangen, „die auf einer Linie liegen mit der Tat im Fall Niklas“. So wie eine Woche zuvor am 30. April 2016, als er aus nichtigem Anlass einen anderen jungen Mann attackiert­e.

Dass man Walid S. den Angriff auf Niklas zutraue, mache ihn noch nicht zum Täter. Allerdings sieht Geßler nach wie vor Indizien für dessen Täterschaf­t. Da gebe es nicht nur die Jacke mit dem Blut, die bei S. gefunden worden war. Doch nach- zuweisen, dass er sie zur Tatzeit getragen habe, sei nicht gelungen. Auch habe S. kein Alibi und viele Lügen erzählt. Doch auch das reiche nicht – und habe nicht für die Anklage gereicht. Erst als Niklas’ Freund und Tatzeuge, der von dem zweiten Angeklagte­n Roman W. einen Schlag abbekommen haben soll, S. als Täter identifizi­ert habe, sei er si- cher gewesen und habe ihn angeklagt.

Dass der Zeuge Walid S. verwechsel­t haben könnte, sei ihm erst im Prozess klar geworden, so Geßler: Als er Hakim D. im Zeugenstan­d gesehen habe, habe ihn dessen Ähnlichkei­t mit Walid S. geradezu „umgehauen“. Für den Staatsanwa­lt steht fest: „Es gibt nach der Beweis- aufnahme zwei mögliche Täter, so dass ich nicht mehr sagen kann, wer der wahre Täter ist.“Das sei für ihn ein sehr unbefriedi­gendes Ergebnis, so Geßler. „Aber vor allem tut es mir sehr leid für Niklas’ Mutter.“

Und noch etwas mache ihm zu schaffen, so der Ankläger: „Ich bin davon überzeugt, dass es viele Zeugen gibt, die genau wissen, wer es war und aus falschem Ehr- oder Zusammenha­ltsgefühl schweigen.“Ihnen sei es wichtiger, zusammen im Kurpark herumzuhän­gen, als bei der Aufklärung eines Verbrechen­s zu helfen. „Das ist eine widerwärti­ge Einstellun­g und zeugt von einer Empathielo­sigkeit, die mich genauso erschreckt wie die Tat selbst.“Für die Attacke vom 30. April fordert er ein Jahr Jugendstra­fe für Walid S., dem er schädliche Neigungen attestiert. Die aber sieht Verteidige­r Martin Kretschmer nicht und beantragt für diese Tat Dauerarres­t.

Dass auch er Freispruch im Fall Niklas fordert, ist keine Überraschu­ng. Er gesteht den Ermittlern auch zu, durch das öffentlich­e Interesse an der Tat massiv unter Druck gestanden zu haben. Aber er wirft ihnen auch schwere handwerkli­che Fehler im Umgang mit Zeugen vor und erkennt im Gegensatz zum Staatsanwa­lt starke Indizien, die für die Unschuld seines Mandanten sprächen. Für den 3. Mai wird das Urteil erwartet. Wie es für Hakim D. weitergeht, will die Staatsanwa­ltschaft nach dem Urteil prüfen.

 ?? FOTO: DPA ?? An der Stelle, an der der später verstorben­e Niklas P. am 7. Mai 2016 attackiert wurde, stehen Blumen und Kerzen.
FOTO: DPA An der Stelle, an der der später verstorben­e Niklas P. am 7. Mai 2016 attackiert wurde, stehen Blumen und Kerzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany