Rheinische Post Duisburg

Neuer Diesel, alte Probleme

- VON FLORIAN RINKE

Auch neueste Fahrzeuge überschrei­ten nach Messungen des Umweltbund­esamtes die erlaubten Grenzwerte um ein Vielfaches. Trotzdem blockiert die Bundesregi­erung offenbar EU-Pläne, härtere Regeln für die Branche einzuführe­n.

DÜSSELDORF Am Ende geht es bei diesem ganzen Konflikt um die großen politische­n Fragen: Ist der Schutz der Industrie wichtiger als der der Umwelt? Sichert man lieber die Arbeitsplä­tze der Menschen oder ihre Gesundheit? Und für wen macht diese Bundesregi­erung überhaupt Politik?

Natürlich, das ist eine sehr zugespitzt­e Beschreibu­ng der Realität, doch das, was seit Bekanntwer­den des Abgasskand­als bei Volkswagen nach und nach ans Licht der Öffentlich­keit kommt, hat am Ende tatsächlic­h viel Potenzial, das Vertrauen der Bürger in den Staat zu erschütter­n: Jahrelang war schließlic­h bekannt, dass die angegebene­n Abgaswerte deutlich von den tatsächlic­hen abwichen. In Europa zuckte man vielerorts nur mit den Achseln, wenn Umweltverb­ände Kritik übten. Erst als in den USA die Behörden die Machenscha­ften bei Volkswagen aufdeckten, rückte das Thema verstärkt in den Fokus.

In Deutschlan­d gab es lediglich ein paar Rückrufe, wirklich große Veränderun­gen blieben aus. Und so fragt man sich, ob es anklagend oder hilflos klingt, wenn Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks sagt, die Situation, in die uns die Automobilw­irtschaft mit ihren hohen Stickoxid-Emissionen gebracht hat, sei völlig inakzeptab­el.

Aktuelle Daten des Umweltbund­esamtes zeigen jedenfalls, dass auch neue Euro-6-Diesel auf der Straße im Schnitt sechs Mal so viel Stickoxide ausstoßen wie erlaubt. Allerdings gelten die Grenzwerte der Euro-Abgasnorme­n bisher nur für Labortests. Insgesamt ist der Stickoxid-Ausstoß der deutschen Diesel-Flotte demnach immerhin um rund ein Drittel höher als bislang offiziell angenommen.

Dabei ist längst bekannt, dass Stickoxide den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System schaden können. Die Europäisch­e Union fordert deswegen von Deutschlan­d seit Langem, mehr gegen die Stickoxid-Belastung zu tun – andernfall­s drohen hohe Strafzahlu­ngen. Und auch Gerichte haben schon Fahrverbot­e angedroht, sollten die Kommunen nicht mehr gegen die bei ihnen gemessene Stickoxidb­elastung tun. Vielerorts wird daher über Fahrverbot­e nachgedach­t. Doch die sollten eigentlich nur für alte Fahrzeuge gelten.

Dabei sind offenbar auch die Diesel-Fahrzeuge, die der strengsten Abgasnorm Euro 6 entspreche­n, auf der Straße nicht so sauber wie vielfach von der Industrie gepriesen. Im Schnitt stoßen sie laut Umweltbund­esamt 507 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus – der Grenzwert Emissionsk­lasse

Grenzwert in mg NO /km durchschni­ttlich gemessene

NO -Emission fürs Labor liegt bei nur 80 Milligramm. Um den Wert zu ermitteln, wurden laut UBA anders als bisher für betriebswa­rme Motoren Messungen bei allen in Deutschlan­d typischen Außentempe­raturen berücksich­tigt. An kühlen Tagen steigt der Stickoxid-Ausstoß demnach stark an, auch wenn der Motor warm ist. Der Verband der Automobili­ndustrie will die neuen Messungen nicht überbewert­en: „Im Ergebnis zeigt sich nichts Neues: Dass die Emissionen auf der Straße höher sind als im Labor, ist bekannt“, heißt es in einer Stellungna­hme.

Das Bundesverk­ehrsminist­erium will sich offiziell auf Anfrage gar nicht äußern und verweist lediglich auf alte Aussagen. Dabei ist das Haus von Minister Alexander Dobrindt (CSU) eigentlich zuständig für die Zulassung der Fahrzeuge. Das machte auch die SPD-Politikeri­n Hendricks noch einmal deutlich: „Ich als Umweltmini­sterin bin zuständig für die saubere Luft.“Alle Vorschläge, die sie unterbreit­et habe, um den Kommunen Lösungsweg­e an die Hand zu geben, seien jedoch abgelehnt worden, sagte Hendricks mit Blick auf eine „Blaue Plakette“für relativ saubere Autos. Dobrindt müsse die Industrie daher stärker in die Pflicht nehmen.

Das Interesse dürfte jedoch ein anderes sein. Laut „Süddeutsch­er Zeitung“blockiert die Regierung in der EU weitergehe­nde Reformen der Abgastests und schärfere Sanktionen für Hersteller. Die Pläne sehen unter anderem eine gegenseiti­ge Überprüfun­g der nationalen Zulassungs­stellen vor, um eine zu große Nähe zur Autoindust­rie zu vermeiden. Deutschlan­d lehnt das ab.

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