Rheinische Post Duisburg

Picasso machte Guernica zum Fanal

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Heute vor 80 Jahren bombardier­ten Deutsche die baskische Kleinstadt.

DÜSSELDORF Das 20. Jahrhunder­t kennt viele Schreckens­tage. Einer davon ist der 26. April 1937. Heute vor 80 Jahren bombardier­ten deutsche Kampfflugz­euge der Legion Condor die baskische Kleinstadt Guernica. Hitlers Terrorakt wird nicht entscheide­nd im Spanischen Bürgerkrie­g gewesen sein. Und dennoch eröffnete dieser Angriff eine neue Dimension der Kriegsführ­ung: weil die Bomben vornehmlic­h der Zivilbevöl­kerung galten; der Tod von unbeteilig­ten Frauen und Kindern sollte den Feind demoralisi­eren.

Dass die Welt nach diesem Bombardeme­nt wie gelähmt erschien, hatte seinen Grund: Denn obwohl es sofort Proteste gegen diesen barbarisch­en Akt hagelte, war den meisten doch klar, dass eine Schwelle überschrit­ten war und eine Umkehr kaum noch realistisc­h. In Guernica entdeckte der Krieg seine neuen Opfer. Das waren die Schutz- und Schuldlose­n.

Pablo Picasso (1881– 1973) arbeitet an diesem Tag an einem Großwerk. Vor einer riesigen Leinwand steht der 56-Jährige; es ist ein Regierungs­auftrag. Picasso soll für den spanischen Pavillon auf der Weltausste­llung in Paris im selben Jahr ein sehr großformat­iges Bild malen. Auch den Titel gibt es schon, „Maler und Modell“. Nach dem Bombardeme­nt ist dieses Werk aber eine Unmöglichk­eit. Picasso begreift, dass er jetzt vor der Leinwand mit ihren monströsen 27 Quadratmet­ern Farbe bekennen muss – mit einem Aufschrei in Schwarz und Weiß.

Mit „Guernica“– so der neue Titel des neuen Werkes – kehrt Picasso zum Kubismus zurück. Mit „Guernica“knüpft Picasso an das Erzählen alter und längst veralteter Historieng­emälde an. Mit „Guernica“schafft Picasso eine Allegorie des Grauens, des Massenmord­ens durch moderne Kriegstech­nik. Tatsächlic­h erscheint das Sterben auf diesem Bild etwas eigentümli­ch Abstraktes zu sein. Der Tod ist massenhaft, der Täter nur noch anonym. Auch darum fehlt von jenen, die morden, auf dem Bild jede Spur. Es ist das Mechanisch­e des Sterbens, das dieses Bild mit Grauen impft.

Mitten im Chaos der leidenden Geschöpfe ragt eine kleine Hand mit Fackel ins Bild. Kein Lichtblick ist das, allenfalls eine Lichtquell­e, die das, was der Kreatur angetan wird, sichtbar macht. Das Lämpchen ist die Wahrheit, und der, der es hält, vielleicht der Maler.

Damit das Bild nicht in falsche Hände gelangt, verfügt Picasso, dass sein Bild erst nach dem Tode des Diktators Franco in jenes Land zurückkehr­en darf, das ihm 1937 den Auftrag dazu erteilte. Es dauert bis 1981. Und vier Jahre später wird eine originalge­treue Kopie von „Guernica“angefertig­t – für den Gang vor dem Sitzungssa­al des UNSicherhe­itsrates in New York. Dort zeigt sich, wie furchterre­gend zeitlos das Bild und seine Wirkung bis heute sind. Als an diesem Ort 2003 der damalige US-Außenminis­ter Colin Powell den Krieg gegen den Irak verkündet, lässt er „Guernica“hinter einem blauen Soffvorhan­g verhüllen. Als ließe sich damit die Laterne des Malers auslöschen.

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FOTO: KN Pablo Picasso

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