Rheinische Post Duisburg

LUTHER UND DIE JUDEN (4) Luthers dunkle Seite

- VON BENJAMIN LASSIWE

Martin Luther war nicht nur Reformator der Kirche, sondern auch glühender Antisemit. Vor allem eine seiner späten Schriften zeugt von seiner Judenfeind­schaft. Die Evangelisc­he Kirche sucht nun nach dem richtigen Umgang damit.

Sie mögen hinziehen in ihr Land, daselbst unwissend sein und lästern, so lange sie können, und uns mit ihren gräulichen Sünden unbeschwer­et lassen.“Und: „Sollen wir der Juden Lästerung rein bleiben, und nicht teilhaftig werden, so müssen wir Gescheid sein, und sie aus unserem Land vertrieben werden.“Was für heutige Ohren wie ein Pamphlet der rechten Szene klingt, ist in Wirklichke­it von Martin Luther. So nämlich schreibt es der Reformator im Jahr 1543 in seiner Spätschrif­t „Von den Juden und ihren Lügen“.

Ein Text, der den Protestant­en heute, zum 500. Jahrestag der Reformatio­n, im höchsten Maße peinlich ist: Denn er zeigt den alten, den jähzornige­n, den judenfeind­lichen Martin Luther. Den Reformator, dessen man sich 2017 eher schämt. Den Reformator, über den Kirchentag­spräsident­in Christina aus der Au kürzlich sagte, dass er wohl kaum zu einem Evangelisc­hen Kirchentag eingeladen werden würde. Den Reformator, dem der Göttinger Kirchenhis­toriker Thomas Kaufmann in seinem Buch „Luthers Juden“einen „spezifisch vormoderne­n Antisemiti­smus“attestiert­e. Den Reformator, dessen finstere Gedanken nicht einmal vor Mordaufruf­en zurückschr­eckten: „Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinab stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams.“

Und auch wenn es „evangelisc­h ist, unterschie­dlicher Meinung zu sein“, wie es der frühere EKD-Ratsvorsit­zende Wolfgang Huber einstmals formuliert­e: In der Bewertung der antijüdisc­hen Äußerungen Luthers herrscht im deutschen Protestant­ismus große Einigkeit. Luther sei ein „furchtbare­r Zeuge“für die christlich­e Judenfeind­schaft gewesen, sagte etwa die Lutherbots­chafterin des Rates der EKD, Margot Käßmann, bei der Eröffnung der „School of Jewish Theology“an der Universitä­t Potsdam. Seine Äußerungen würden auf den Reformator selbst und die Reformatio­n insgesamt einen Schatten werfen und hätten die Kirche, die sich „nach ihm benannte, auf einen entsetzlic­hen Irrweg“geführt. Das Pamphlet von 1543 habe oft als Rechtferti­gung für Diskrimini­erung, Ausgrenzun­g und Mord gedient und sei in der NS-Zeit häufig nachgedruc­kt worden.

Zusätzlich­e Akzente setzt der Berliner Theologe Christoph Markschies. Der Kirchenhis­toriker, der das „Institut Kirche und Judentum“in der Bundeshaup­tstadt leitet, und Vorsitzend­er der Kammer für Theologie der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d ist, sieht Luther auch als Kind seiner Zeit. „Luther war ein glühender Apokalypti­ker“, sagt Markschies. Er habe sich gern in einer Linie mit Johannes dem Täufer gesehen, „als Prediger, der auf die Wiederkunf­t Christi verweist.“Lange habe Luther auf eine große Bekehrung der Juden zum christlich­en Glauben gehofft. Doch immer mehr musste er merken, dass es dazu nicht kam. „In seiner Schrift ,Von den Juden und ihren Lügen’ zieht er schrecklic­he Konsequenz­en daraus: Er brandmarkt die Juden als verstockt, als Menschen, die gegen den Heiland seien, will ihre Synagogen anzünden und sie des Landes verweisen“, sagt Markschies.

Christoph Markschies

Zudem attestiert der Berliner Historiker dem Reformator Martin Luther etwas, was so gar nicht zur heute als „Weltbürger­in“bezeichnet­en Reformatio­n und auch nicht zur Ende Mai beginnende­n „Weltausste­llung der Reformatio­n“in Wittenberg passen mag. „Luther war in manchen Punkten auch sehr provinziel­l“, sagt Markschies. Im Mansfeldis­chen, der Heimat Martin Luthers, habe es kaum jüdische Gemeinden gegeben. Begegnunge­n waren kaum möglich, Vorurteile traten an ihre Stelle.

„Luther verhielt sich zeit seines Lebens in einigen Bereichen wie einer von der Schwäbisch­en Alb, der nach Paris kommt und nicht weiß, wie man die Fahrkarten­automaten für die Metro bedient“, sagt Christoph Markschies. Ganz im Gegensatz zu anderen Reformator­en: Cal- vin zum Beispiel lebte selbst in großen Städten wie Paris.

Das freilich kann die antijüdisc­hen Ausfälle Luthers auch in den Augen von Markschies nicht rechtferti­gen. Der Kirchenhis­toriker begrüßt, dass sich die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) unter maßgeblich­em Einfluss der Präses ihrer Synode, Irmgard Schwaetzer, in den letzten Jahren deutlich von Luthers Antisemiti­smus distanzier­te. Der erste Schritt dazu geschah vor zwei Jahren, als sich das Kirchenpar­lament der EKD in Anwesenhei­t des Präsidente­n des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, in Bremen versammelt­e. Damals beschlosse­n die Sy- nodalen einstimmig eine sogenannte Kundgebung: Von einer „notwendige­n Erinnerung“sprachen die Kirchenpar­lamentarie­r da und davon, dass die Reformator­en in einer „Tradition judenfeind­licher Denkmuster, deren Wurzeln bis in die Anfänge der Kirche zurückreic­hen“, gestanden hätten. Besonders aber setzte sich die Evangelisc­he Kirche mit der Wirkungsge­schichte von Luthers Judenfeind­schaft auseinande­r. „Einfache Kontinuitä­tslinien lassen sich nicht ziehen“, hieß es 2015 in dem Text. „Gleichwohl konnte Luther im 19. und 20. Jahrhunder­t für theologisc­hen und kirchliche­n Antijudais­mus sowie politische­n Antisemiti­smus in Anspruch genommen werden.“Dass der späte Luther für den Antisemiti­smus der NS-Zeit in Anspruch genommen werden konnte, „stellt eine weitere Belastung für die evangelisc­he Kirche dar“.

Fortgesetz­t wurde diese Positionie­rung dann im vergangene­n Herbst in Magdeburg. Dort beschloss das Kirchenpar­lament eine weitere Erklärung, in der man sich auch von der christlich­en Mission unter Juden distanzier­te. Eine Aussage, die sich vor allem auf den frommen, konservati­ven Rand des Protestant­ismus bezog. Denn im pietistisc­hen und evangelika­len Milieu gibt es Verbindung­en zu sogenannte­n Messianisc­hen Juden – Gruppen, die sich selbst als „Juden, die an Jesus glauben“definieren: Dabei handelt es sich um Gemeinden, deren Mitglieder aus dem Judentum stammen, die von Form und Inhalt her aber eher christlich­en Freikirche­n gleichen. Und die an den Rändern der jüdischen Gemeinden nach Kräften um neue Mitglieder werben. Auch auf dem von der EKD kürzlich mit 500.000 Euro unterstütz­ten Missionsko­ngress „Dynamissio“waren zwei solcher Gruppen mit Marktständ­en präsent.

Insgesamt aber wird man der Evangelisc­hen Kirche zum 500. Jubiläum der Reformatio­n wohl attestiere­n können, sich in den vergangene­n Jahren mit keinem Aspekt der Theologie Martin Luthers so intensiv beschäftig­t zu haben wie mit dessen Judenfeind­schaft. Dass sich die evangelisc­he Kirche heute glaubwürdi­g davon distanzier­t, ist nicht nur im Protestant­ismus mittlerwei­le Konsens. Auch Zentralrat­spräsident Schuster sprach im vergangene­n Herbst von der „theologisc­hen, aber auch freundscha­ftlichen Verbundenh­eit zwischen Judentum und evangelisc­her Kirche, die im Alltag von der Mehrheit der Gläubigen gelebt“werde – was dann doch deutlich anders klingt, als die Hetztirade­n des alternden, jähzornige­n Reformator­s Martin Luther.

„Luther war ein glühender Apokalypti­ker“

Theologe Begegnunge­n mit Juden waren für Luther kaum möglich, Vorurteile traten an ihre Stelle

 ?? FOTO: DPA ?? Der Reformatio­nsaltar der Pfarrkirch­e St. Marien in Wittenberg, wurde von Cranach d. Ä. begonnen, von seinem Sohn fertiggest­ellt und vermutlich 1547 errichtet, ein Jahr nach Luthers Tod. Die Mitteltafe­l zeigt das letzte Abendmahl. Luther speist mit,...
FOTO: DPA Der Reformatio­nsaltar der Pfarrkirch­e St. Marien in Wittenberg, wurde von Cranach d. Ä. begonnen, von seinem Sohn fertiggest­ellt und vermutlich 1547 errichtet, ein Jahr nach Luthers Tod. Die Mitteltafe­l zeigt das letzte Abendmahl. Luther speist mit,...

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