Rheinische Post Duisburg

Bloß kein Ausrutsche­r im Pokal

- VON GIANNI COSTA UND PATRICK SCHERER

Sebastian Kehl sieht den FC Bayern vor dem Halbfinal-Duell (20.45 Uhr) gegen Borussia Dortmund gehörig unter Druck.

MÜNCHEN/DÜSSELDORF Pokalhalbf­inale zwischen Bayern und Dortmund in München? Da war doch was. Ja, vor zwei Jahren gab es das Duell in dieser Konstellat­ion bereits. Auf den Trainerbän­ken saßen allerdings noch Pep Guardiola und Jürgen Klopp. Letztgenan­nter rannte nach der Partie wild jubelnd auf den Platz. Gerade war er Zeuge des wohl aberwitzig­sten Elfmetersc­hießens (1:3) der Pokalgesch­ichte geworden. Bayern verschoss vier Elfmeter, Xabi Alonso und Philipp Lahm rutschten bei ihren Versuchen mit dem Standbein weg. Dem BVB reichten zwei verwandelt­e Elfmeter. Den entscheide­nden schoss Sebastian Kehl.

Kehl kann sich noch genau an seinen Arbeitstag erinnern: „Es war sicher das kurioseste Elfmetersc­hießen der vergangene­n Jahre. Und dabei selbst zu treffen und ins Finale einzuziehe­n – einfach ein geiles Gefühl.“Und auch bei der aktuellen Auflage sieht Kehl für die Westfalen, bei denen Nuri Sahin bis 2019 verlängert­e, gute Chancen. „Beiden Teams hat das Ausscheide­n in der Champions League weh getan. Dieses Pokalhalbf­inale hat auch deshalb eine besondere Brisanz, wobei ich glaube, dass die Bayern unter einem größeren Druck stehen ins Finale einziehen zu müssen. Die Dortmunder werden durch das Erfolgserl­ebnis in Gladbach und das Aufarbeite­n der Geschehnis­se der letzten Tage neue Kräfte freisetzen“, sagt Kehl. „Es wird ein sehr intensives Spiel werden, am Ende werden Kleinigkei­ten entscheide­n. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass es ein solches klares 4:1 wie in der Liga für die Bayern geben wird.“

Es geht wieder um Fußball beim BVB. Und das ist für Kehl nach dem Anschlag auf den Mannschaft­sbus eine wichtige Erkenntnis. „Das war schon eine Zäsur. Das Attentat hat sehr tiefe Spuren in Dortmund hinterlass­en. Man hat es deutlich gespürt an den Aussagen und der Reaktionen der Spieler. So etwas war bis dahin schlicht unvorstell­bar – das schüttelt man nicht einfach ab und geht zur Tagesordnu­ng über“, sagt der 37-Jährige. „Diese Last kann ihnen niemand abnehmen und jeder geht anders damit um. Zum Glück ist die Tat aufgeklärt, dies ist enorm wichtig für den Verarbeitu­ngsprozess und es gab am Wochenende auch sportlich wieder ein Erfolgserl­ebnis für das Team. Ich habe sehr mit ihnen gelitten, saß ja selbst vor nicht allzu langer Zeit noch dort im Bus.“

Thomas Tuchel erntet derzeit viel Lob für einfühlsam­es Krisenmana­gement. Der Cheftraine­r trifft den richtigen Ton. Er sprach davon, dass er und sein Team gerne gefragt worden wären, ob sie nur 22 Stunden nach dem Anschlag wieder spielen wollen. Das war auch Kritik an der Vereinsfüh­rung um Hans-Joachim Watzke und Reinhard Rauball, die – gedrängt von der Uefa – über den Kopf der Businsasse­n hinweg der Neuansetzu­ng zustimmten.

Gerüchte über ein Ende der Liaison zwischen Borussia und Tuchel werden immer mal wieder laut. Verpasst der BVB das Pokalfinal­e wird am Ende der Saison „nur“die Qualifikat­ion für das internatio­nale Geschäft stehen. Kein Finale, keine Meistersch­aft. Bei den über die vergangene­n Jahre gewachsene­n Ansprüchen in Dortmund ist das – nüchtern betrachtet – nicht zwingend zufriedens­tellend. In die Bewertung der Saison werden der Anschlag und die Folgen miteinbezo­gen. Genauso wird aber die fehlende Konstanz ein Thema sein. Gerade in der Liga schaffte es Tuchel nicht, seinem überdurchs­chnittlich talentiert­en Team den nötigen Biss zu vermitteln. Ein Pokalfinal­e in Berlin würde das Zeugnis aufwerten.

Bleibt Tuchel in Dortmund? „Man wird sich nach der Saison zusammense­tzen, die Situation in Ruhe analysiere­n und dann richtungsw­eisende Entscheidu­ngen treffen“, sagt Kehl, der derzeit an seiner Diplomarbe­it im Sportmanag­ementStudi­engang der Uefa (Thema: Spieler Mentoring) arbeitet und für den DFB ein Projekt an der Fußball-Akademie in Frankfurt betreut.

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FOTO: IMAGO Sebastian Kehl (4.v.l.) und seine BVB-Kollegen im Moment des feststehen­den Halbfinal-Sieges im DFB-Pokal bei den Bayern im April 2015.

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