Rheinische Post Duisburg

Im Sportdorf Büttgen dreht sich alles ums Rad

- VON VOLKER KOCH

Zwei Olympiasie­ger, die einzige Hallen-Radrennbah­n Westdeutsc­hlands – und jetzt rollt auch die Tour de France mitten durch den Ort.

KAARST-BÜTTGEN Berti Vogts ist die große Ausnahme. Denn der Fußball-Weltmeiste­r von 1974 und einstige Bundestrai­ner ist der einzige Büttgener, der sportliche­n Ruhm nicht auf zwei Rädern errang. Ansonsten dreht sich im Sportdorf, das postalisch und politisch zu Kaarst gehört, sich aber gern eigenständ­ig gibt, alles ums Rad. Was nicht nur daran liegt, dass an der Olympiastr­aße die einzige ganzjährig nutzbare, weil überdachte Radrennbah­n Westdeutsc­hlands steht – wer ihr Gegenstück sucht, muss schon bis Frankfurt an der Oder fahren.

Da ist es nur folgericht­ig, dass die zweite Etappe der Tour de France am 2. Juli auf ihrem Weg von Düsseldorf nach Lüttich nicht die Direktverb­indung über die L 381 von Neuss nach Mönchengla­dbach nimmt, sondern an der Novesiastr­aße rechts abbiegt, um durch den Büttgener Ortskern zu rollen.

An der Novesiastr­aße wohnt Udo Hempel. „Ich könnte die Fahrer von meinem Fenster aus sehen“, sagt der 70-Jährige. Wird er aber nicht, denn Hempel wird am 2. Juli mittendrin sein im Geschehen auf dem Büttgener Rathauspla­tz. Schließlic­h ist der Olympiasie­ger (1972 in München) und Weltmeiste­r (1970) mit dem deutschen Bahnvierer eine der treibenden Kräfte hinter der Initiative „Tour hautnah“, mit der die Büttgener (Kaarster) den ersten JuliSonnta­g zu einem radsportli­chen Familienfe­st machen wollen.

Hempel, einst Bundestrai­ner der Bahnfahrer und Veranstalt­er vieler Radrennen, hat die Telefondrä­hte glühen und seine immer noch hervorrage­nden Kontakte in die Radsportsz­ene spielen lassen. So reist selbst Joop Zoetemelk, Tour de France-Sieger von 1980 und sechs Mal Zweiter in der Gesamtwert­ung der Frankreich-Rundfahrt, aus den Niederland­en nach Büttgen, um die Tour „hautnah“zu erleben.

So erfolgreic­h wie der heute 70Jährige wäre Markus Fothen gerne geworden. Immerhin durfte er 2006, bei seiner ersten Tour de France, vier Tage lang das weiße Trikot für den besten Jungprofi tragen – am Ende belegte er Rang zwei hinter dem Italiener Damiano Cunego. Gesundheit­liche Probleme, deren Ursachen lange nicht gefunden wurden, beendeten diesen Traum und 2013 die Karriere des heute 35Jährigen. Vier Mal startete er bei der Tour de France, der 14. Rang bei der Premiere blieb seine beste Platzierun­g.

Vom elterliche­n Bauernhof im Kaarster Ortsteil Vorst, den heute sein als Profi nicht ganz so erfolgreic­her, jüngerer Bruder Thomas (34) bewirtscha­ftet, haben die beiden die Radsportha­lle an der Olympiastr­aße gut im Blick. Mit deren Bau wurde 1970 begonnen – zunächst als Freiluftba­hn ohne Dach. Das wurde erst zehn Jahre später draufgeset­zt – was den Innenraum mit rund 4000 Quadratmet­ern Fläche größer machte als die Dortmunder Westfalenh­alle. 2500 Zuschauer finden auf den Betontribü­nen Platz.

Die kommen längst nicht mehr, wenn der VfR Büttgen jedes Jahr am 30. April auf dem 250 Meter langen Oval aus afrikanisc­hem Doussie-AfzeliaHol­z seinen „Spurt in den Mai“veranstalt­et. Das war mal anders. Bei der von Udo Hempel Anfang des Jahrtausen­ds ausgericht­eten Six-Day-Night, als Straßensta­rs wie Erik Zabel, Jens Vogt und Rolf Aldag einen Abstecher auf die Bahn wagten, war die Halle ausverkauf­t. Heute ist Veranstalt­ungschef Friedhelm Kirchhartz froh, dass am Sonntagabe­nd Nils Schomber und Henning Bommel, die mit dem Bahnvierer in Rio Platz fünf belegten und dabei deutschen Rekord fuhren, an der Startlinie stehen. Ein Verdienst des Sportliche­n Leiters Andreas Beikirch – auch ein Großer des Büttge- ner Radrennspo­rts, der 1988 Junioren-Weltmeiste­r im Punktefahr­en und 2003 Europameis­ter im ZweierMann­schaftsfah­ren wurde.

Inzwischen kümmert sich der 47Jährige als Zweiter Vorsitzend­er um die Radsportab­teilung des VfR Büttgen. Sie stellt mit 40 Nachwuchsf­ahrern die größte Jugendabte­ilung im Radsportve­rband NRW und bringt immer wieder Talente wie Beikirch, Fothen oder die Olympia-Starter Nils Schomber und Ina-Yoko Teutenberg hervor. Die verlassen heute allerdings meist früh den Verein, um bei einem Profi- oder semi-profession­ellen Team anzuheuern.

Straßensta­rs wie Erik Zabel, Rolf Aldag und Jens Vogt fuhren in Büttgen einst vor ausverkauf­tem Haus

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