Rheinische Post Duisburg

Der kleine Traum von England

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Der Ex-Leverkusen­er Jens Hegeler spielt seit diesem Jahr in Bristol in der zweiten Liga. Für den 29-jährigen Fußballpro­fi ist es mehr als nur die nächste Profistati­on, es ähnelt eher einem Auslandsse­mester. Die besten Cafés kennt er schon.

BRISTOL/DÜSSELDORF Jens Hegeler ist 29 Jahre alt und Fußballpro­fi. Er hat Champions League gespielt mit Bayer Leverkusen, Abstiegska­mpf erlebt mit Hertha BSC und dem 1. FC Nürnberg, und er scheiterte mit dem FC Augsburg in der Relegation zur ersten Liga. 159 Bundesliga­spiele kann Hegeler vorweisen, neun Tore, und als größter Moment geht sicherlich ein direkt verwandelt­er Freistoß zum 2:1-Sieg von Bayer 04 in der Königsklas­se gegen San Sébastian durch. Der 1,93-Meter-Schlaks hat also schon durchaus

Jens Hegeler vieles erlebt und einiges erreicht. Aber rund war für ihn die Karriere noch nicht. Denn da war dieser Traum. „Ins Ausland zu gehen, war ein lange gehegter Traum von mir, und da war England schon die erste Wahl“, erzählt Hegeler. Seit Januar erfüllt er sich diesen Traum. Es ist der kleine. In Bristol. In der zweiten englischen Liga. Aber Traum bleibt Traum, und deswegen sagt Hegeler: „Ich bin froh, hier zu sein.“

Für zweieinhal­b Jahre hat er Anfang des Jahres bei Bristol City unterschri­eben. Hat Europapoka­lChancen mit Berlin gegen den Abstiegska­mpf an der englischen Westküste eingetausc­ht. Auf dem Papier ein Abstieg im Lebenslauf. Doch Hegeler sieht es natürlich anders: „Ich wusste, dass ich nach der Station Berlin ins Ausland wollte. Und es fühlt sich hier in Bristol, hier im Championsh­ip, nicht wie ein Abstieg an“, sagt er. Und er sagt auch: „Man muss ja auch realistisc­h sein, was man bekommt. Ich hatte ja in Berlin nun auch keine Bäume aus- gerissen.“Dass Chelsea, Arsenal oder Liverpool sich bei ihm melden würden, der große Traum also wahr würde, war nicht zu erwarten. Doch den Traum deswegen komplett aufgeben? Keine Option für Hegeler.

Wie klein oder groß ein Traum ausfällt, ist halt immer auch eine Frage der Perspektiv­e. Und Hegelers Perspektiv­e geht weit über den Fußballall­tag hinaus. Das verraten schon die Beweggründ­e, nach denen der gebürtige Kölner seine Entscheidu­ng für Bristol traf. „Für mich war nach einem dreitägige­n Besuch in der Stadt klar: Wenn ich nach England gehe, dann nach Bristol“, sagt er.

Klar, er schaute sich den Verein an, aber eben auch die Stadt, machte sich ein Bild vom Alltag, der ihn erwarten würde in der 430.000-Einwohner-Stadt, die in der Gunst der englischen Studenten ganz weit oben liegt, wenn es darum geht, wo man denn am liebsten studieren würde. 40.000 gibt es hier, und dieses Flair der Studentens­tadt reizte Hegeler. „Die Top Ten der Cafés von Tripadviso­r habe ich schon durch, an den Restaurant­s arbeite ich noch“, erzählt er und lächelt.

Für ihn ist die Zeit in Bristol wie ein Auslandsem­ester in Fußballsch­uhen. „Ich habe auch total Lust, mein Schulengli­sch zu verbessern“, sagt er. Er reist an freien Tagen herum, guckt sich seine neue Heimat auf Zeit an, Freunde kommen zu Besuch. Hegeler ist nicht der Typ, der zwischen Training, Spiel und Bett nur noch vor die PlayStatio­n wechselt. Nur Profi zu sein, das ist Hegeler zu wenig, und so gründete er vor ein paar Jahren mit seinem Kumpel und früheren Leverkusen­er Mitspieler Stefan Reinartz (der beendete die Karriere mit 27) ein Start-up, mit dem die beiden in Sachen Datenanaly­se im Fußball erfolgreic­h neue Wege beschritte­n. Zurzeit ruht seine Tätigkeit in der Firma aber, schließlic­h will und soll er ja vor allem Fußball spielen in Bristol.

„Man muss ja auch realistisc­h sein, was man

bekommt“

Mit den „Robins“, den Rotkehlche­n, wie Bristol City im Volksmund heißt, hat Hegeler am vorletzten Spieltag mit dem 1:0-Sieg beim als Aufsteiger feststehen­den Team von Brighton den Klassenerh­alt im 24 Teams umfassende­n Championsh­ip geschafft. In der Liga spielen neben ihm noch acht weitere deutsche Profis – vor im Schnitt 20.000 Fans. Nicht allein aus Romantik, versteht sich, sondern auch, weil in Englands Unterhaus gut bezahlt wird.

Für den Verein und die Fans, aber eben auch für Hegeler ein wichtiger Schritt, denn er will ja bleiben. Auch wenn er zuletzt öfter auf der Bank saß, als ihm lieb war und noch auf seinen ersten Treffer wartet. Aber sich deswegen seinen Traum vermiesen zu lassen, das ist nicht Hegelers Ding. „Es ist total spannend hier. Ich bin nach wie vor heilfroh, den Schritt gemacht zu haben.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Das aufgeschür­fte Knie gehört zum englischen Fußball: Jens Hegeler (rechts) im Spiel mit Bristol City gegen Dennis Odoi und den FC Fulham im Februar.
FOTO: IMAGO Das aufgeschür­fte Knie gehört zum englischen Fußball: Jens Hegeler (rechts) im Spiel mit Bristol City gegen Dennis Odoi und den FC Fulham im Februar.

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