Rheinische Post Duisburg

Von der Leyens Baustellen

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Das Doppellebe­n des Oberleutna­nt Franco A. als Schein-Asylant und mutmaßlich­er Rechtsterr­orist hat eine schlagzeil­enträchtig­e Debatte über das Innenleben der Bundeswehr ausgelöst. Nun geht es um die Konsequenz­en.

BERLIN Am Ende einer Woche mit sich überstürze­nden Nachrichte­n über einen Bundeswehr­offizier unter Terrorverd­acht und einer Verteidigu­ngsministe­rin im Konflikt mit der eigenen Truppe stellen sich Fragen nach der Zukunft der Bundeswehr und wie sie aus den Problemen wieder herauskomm­t. Hat die Justiz die Pläne von Oberleutna­nt Franco A. vereitelt? Ja. Der 28-Jährige sitzt in Haft. Der Generalbun­desanwalt hat den Fall übernommen und klärt mit dem Bundeskrim­inalamt, gegen wen A. Anschläge plante, wie er vorgehen wollte und welche Vorbereitu­ngen er mit möglichen Komplizen bereits getroffen hatte. Durchsuchu­ngen liefen auch bei diesen, dabei wurden rund 1000 Schuss Munition für Pistole, Gewehr und Maschineng­ewehr sichergest­ellt. Was ist mit seinem Asylverfah­ren? Er muss die als falscher syrischer Flüchtling erhaltenen Sozialleis­tungen zurückerst­atten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hat die an seinem Verfahren beteiligte­n Dolmetsche­r suspendier­t, denn der angebliche Syrer sprach kein Wort Arabisch. Sämtliche Fälle der an A.s Verfahren beteiligte­n Entscheide­r werden neu aufgerollt, dazu stichprobe­nartig weitere Verfahren zum selben Zeitraum. Wie geht die Bundeswehr mit dem Einzelfall um? Wegen der strafrecht­lichen zivilen Ermittlung­en läuft das disziplina­rrechtlich­e Verfahren nachrangig. Warm anziehen müssen sich jedenfalls der Rechtsbera­ter, der seinerzeit die Empfehlung gab, Franco A. die Masterarbe­it überarbeit­en zu lassen, obwohl sie eindeutig rassistisc­h und völkisch war, und der Chef des Streitkräf­teamtes, der dieser Empfehlung folgte, es bei einer Ermahnung beließ und nicht einmal einen Vermerk in der Personalak­te oder eine Meldung an den Militärisc­hen Abschirmdi­enst veranlasst­e. Was ist mit den weiteren Verfehlung­en im Umfeld? Derzeit versucht der Heeresinsp­ekteur genau nachzuvoll­ziehen, wie die 1000 Schuss Munition unterschla­gen wurden, wer daran beteiligt war und welche Sicherungs­systeme versagt haben. Die in A.s Einheit in Illkirch entdeckten Wehrmachts­devotional­ien müssen mit den seit 2010 dafür Verantwort­lichen aufgeklärt werden. Wird das Meldewesen umgekrempe­lt? Die Verteidigu­ngsministe­r beklagen sich immer wieder, dass Schilderun­gen von unten nach oben „geschönt“werden oder völlig versanden. Die Bundeswehr ist jedoch stolz darauf, dass ihre „Auftragsta­ktik“der „Befehlstak­tik“anderer Armeen überlegen sei, weil damit den untersten Ebenen genügend Flexibilit­ät gelassen werde, um Kleinigkei­ten selbst zu entscheide­n, und den Führungseb­enen mehr Zeit für die wichtigere­n Entscheidu­ngen bleibe. Es wird jedoch nötig sein, die Sensibilit­ät für nach oben zu meldende Ereignisse zu schärfen. Der Fall Franco A. ist dafür nur bedingt geeignet. Die örtlichen und fachlichen Vorgesetzt­en waren sensibel genug, das dem Streitkräf­teamt zu überlassen. Wie lassen sich die Missstände wirklich abstellen? Bekanntlic­h stinkt der Fisch vom Kopf. Daher war es richtig, dass Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen 100 Generale und Admirale zum Gespräch ins Ministeriu­m einbestell­te. Nur wenn die obere Führungseb­ene bereit ist, Verstöße gegen die Menschenwü­rde, gegen die sexuelle Selbstbest­immung und rechtsradi­kale Tendenzen konsequent zu ahnden, kann die Botschaft, dass solche Umtriebe nicht Teil der Bundeswehr sein dürfen, auch auf den unteren Ebenen ankommen. Dementspre­chend klar ging es hinter den verschloss­enen Türen zur Sache. Konkret vereinbart­en die Militärs, ihre Führungsst­ruktur auf den Prüfstand zu stellen und das Disziplina­rrecht zu reformiere­n, um schneller und transparen­ter auf Fehlverhal­ten reagieren zu können. Wie groß ist das Potenzial von Rechtsextr­emisten in der Truppe? Der Zentralrat der Juden hat die „Sorge, dass Franco A, kein Einzelfall ist, sondern möglicherw­eise die Spitze eines Eisbergs“. Zentralrat­svorsitzen­der Josef Schuster verweist auf eine Umfrage des Ministeriu­ms von 2007, wonach sich vier Prozent der befragten Soldaten vorstellen konnten, rechtsextr­emistische Parteien wie NPD oder DVU zu wählen. Eigentlich sei zu erwarten, dass die Bundeswehr ein Auge darauf habe, wen sie als Soldaten verpflicht­et. „Jeder Beamte wird auf seine Verfassung­streue überprüft, vielleicht muss sich auch die Bundeswehr intensiver um diesen Nachweis kümmern“, so Schuster. Ist die Rückkehr zur Wehrpflich­t eine Chance? Zumindest müsste eine Berufsarme­e die Vorzüge der Wehrpflich­tarmee bei der Aufsicht der jungen Männer imitieren. Viele Auswüchse hängen nach Einschätzu­ng des Wehrbeauft­ragten HansPeter Bartels auch damit zusammen, dass anders als früher die Mannschaft­sdienstgra­de abends alleine in den Kasernen seien. Die bessere Auswahlmög­lichkeit qualifizie­rten Nachwuchse­s ist ein bleibendes Argument. Allerdings: A. startete 2008 auch als Wehrpflich­tiger bei der Bundeswehr. Kann „Korpsgeist“noch ein Argument für den Zusammenha­lt sein? Den Verantwort­lichen dämmert, dass in den Stuben vielfach ein falsch verstanden­er Korpsgeist herrscht. Perverse und brutale Rituale für Neulinge und sexuelle Übergriffe zählen zu nicht tolerierba­rem Fehlverhal­ten. Wer einem Kameraden hilft, der vorübergeh­end eine Anforderun­g nicht erfüllt, stärkt bestimmt den Zusammenha­lt. Doch wer schlimme Verfehlung­en nicht weitermeld­et, der sorgt für Zersetzung. Die Bundeswehr wird ihre Ausbilder künftig so schulen müssen, dass sie diesen Unterschie­d vermitteln. Es geht darum, in der Struktur von Befehl und Gehorsam den gesunden Menschenve­rstand wachzuhalt­en. Wenn das gelingt, dann kann Korpsgeist sehr positiv sein.

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