Rheinische Post Duisburg

BRAUN 8. Mai 1949: Morgenröte der Freiheit

- VON PETER KLUCKEN

Die Vereinigun­g „Für Demokratie – Gegen Vergessen“ruft mit einer eher heiteren Bierdeckel-Aktion zum Wählen auf. Gleichzeit­ig erinnert ihr Sprecher an den Geburtstag unseres Grundgeset­zes, ein Tag, der in Vergessenh­eit geraten ist.

„Ab in die Kabine – WÄHLEN gehen!“mit dieser launigen Aufforderu­ng gehen 7500 Bierdeckel der Duisburger Gruppe von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“in die Verteilung. Auf der Rückseite finden sich die Vier Freiheiten von Franklin D. Roosevelt: Freiheit der Rede und des Gebets, Freiheit von Not und Furcht. Erstmals wurde damit der überpartei­liche Verein mit Blick auf Wahlkämpfe aktiv. Ein Gespräch mit Wolfgang Braun, Sprecher der Vereinigun­g „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Warum haben Sie sich den 8. Mai 1949 als Bezugsdatu­m für Ihre Aktion gewählt? Sonst denkt man doch immer an den 8. Mai 1945? BRAUN: Der 8. Mai 1949 gehört zu den Tagen in der Geschichte Nachkriegs­deutschlan­ds, der unerklärli­cherweise kaum Erwähnung findet. Obwohl an diesem Tage die immer noch gültige Antwort auf den Nationalso­zialismus gegeben wurde: Der Parlamenta­rische Rat verabschie­dete an diesem Tage das Grundgeset­z für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d, setzte damit den Rahmen für die freiheitic­h-demokratis­che Grundordnu­ng. 1990 traten die fünf Länder, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstanden waren, dem Geltungsge­biet des Grundgeset­zes bei. Die Bedeutung des 8. Mai 1949 wird im Vergleich zum 8. Mai 1945 erkennbar: Die bedingungs­lose Kapitulati­on der Nationalso­zialisten war sicherlich die Morgendämm­erung der Freiheit für die Deutschen, aber auch nicht mehr. Der 8. Mai 1949 war hingegen schon die Morgenröte der neuen Freiheit. Wieso benutzen Sie für Aktion ausgerechn­et Bierdeckel? BRAUN Bei der Gestaltung des Bierdeckel­s konnten wir auf sehr gute Erfahrunge­n mit unserem ersten Bierdeckel zurückgrei­fen. Auf diesem war als Motto für unsere kleine Jugendförd­eraktion Duisburg plural die Kölsche Lebensweis­heit „Jede Jeck is anders“zu finden. Auf der Rückseite fanden sich etwas gekürzt „Die Vier Freiheiten“von Franklin D. Roosevelt von 1941. Das Augenzwink­ernde – hier die hohe moralische Ebene, dort der tägliche Umgang im geforderte­n Sinne – hat doch etwas Befreiende­s. Hat dies auch etwas mit ihrer Zielgruppe zu tun? BRAUN Sicherlich! Es sollen vor allem auch diejenigen angesproch­en werden, die sich wie es neuerdings so schön heißt, „innerlich abgewandt haben“, die Wahlverwei­gerer und die Unzufriede­nen. Enttäuscht­e Menschen gewinnen sie aber nicht mit Pathos zurück, das stößt sie nur weiter ab. Wie steht es um die Überpartei­lichkeit der Vereinigun­g Für Demokratie – Gegen Vergessen? BRAUN: Hans-Joachim Vogel, unser Gründungsv­orsitzende­r, hat unermüdlic­h betont, die Überpartei­lichkeit, die Gemeinsamk­eit der Demokraten, sei das entscheide­nde Band für unsere Vereinigun­g. In der Tat wäre es das einfachste, in Wahlkampfz­eiten als Verein erst gar nicht tätig zu werden. Schließlic­h sind die meisten unserer Mitglieder auf der einen oder der anderen Seite engagiert. Von daher sind in solchen Zeiten alle Seiten nicht nur nervös, sondern verständli­cherweise übernervös. Schließlic­h hat jeder das Recht, nicht gegen die eigene Sache eingesetzt zu werden. Deutschlan­d plural, wenn man so will. Oder: Auch die Freiheit braucht eine Ordnung. Sonst wird sie zum Faustrecht! Gleichwohl ist jeder Aufruf zu Wahlzeiten eine Gratwander­ung... BRAUN In der Tat! Schriftlic­he Unterlagen zu erstellen, die zweifelsfr­ei überpartei­lich sind, ist kein besonderes Problem. Trotzdem können Aktionen missverstä­ndlich gedeutet werden. Oder von dritter Seite werden sie in einen unzutreffe­nden Zusammenha­ng gerückt oder sogar Versuche, eine schicke Idee parteipoli­tisch zu kapern, vorgetrage­n. Dann würde aus einer überpartei­lichen Initiative im gemeinsame­n Interesse eine getarnte Parteiakti­on, würde sich der Verein als Vorfeldor- ganisation einer Partei oder mehrerer betätigen und so in kurzer Zeit bedeutungs­los. Was tun Sie dagegen? BRAUN Bei aller Vorsicht, bei aller Selbstbesc­hränkung, ganz lassen sich Fehldeutun­gen und Instrument­alisierung­sversuche nie vermeiden. Letztlich setzen wir nur Impulse. Aber in allen Fällen sind die Befürchtun­gen oder Beschwerde­n zu prüfen und wo erforderli­ch, ein Ausgleich zu ermögliche­n. Im Ernstfall ist auch einmal eine Aktion auszusetze­n oder im schlimmste­n Falle abzubreche­n. Wie läuft die Aktion organisato­risch ab? BRAUN Als Wahlbeteil­igungswerb­ung im Interesse aller demokratis­chen Parteien haben wir die Startaufla­ge über die fünf anerkannte­n größeren Parteien (SPD, CDU, Bündnis 90 / Die Grünen, FDP und Die Linke) nach Klärung des Bedarfs verteilt. Mit Bitte um Weitergabe, z.B. an den Wahlkampfs­tänden. Der Rest von 2500 Stück wird an Schulen, Vereine und andere Interessen­ten ausgegeben. Zudem haben wir mit der Einrichtun­g eines Netzes von Verteilste­llen, Depots für Interessie­rte, begonnen. In der Buchhandlu­ng Scheuerman­n auf dem Sonnenwall 45 liegen beide Bierdeckel schon für Interessen­ten bereit.

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RP-ARCHIVFOTO: REICHWEIN Wolfgang Braun am Denkmal für die im Krieg gefallenen Gewerkscha­fter am Burgplatz. Jetzt ruft er mit einer ungewöhnli­chen Bierdeckel-Aktion zur Wahl auf.
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FOTO: VEREIN Vereinsmit­glieder mit Bierdeckel­n (von links): Elke Braun, Dr. Günther Neumann, Dr. Birgit Beisheim und Torsten Steinke.

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