Rheinische Post Duisburg

Wenn alle nur noch Versager sind

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Spätestens im Mai hängen bei vielen Fußballver­einen die Nerven total blank. Wenn selbstgest­eckte Ziele nicht erreicht werden, dann greifen in der Branche gnadenlose Mechanisme­n. Naturgemäß stehen vor allem die Profis im Blickpunkt. Sie, so postuliert es der Stammtisch, haben es schließlic­h verbockt. Der Weg ist dann nicht mehr weit, um sich hemmungslo­s an ihnen abzuarbeit­en.

Besonders der Hamburger SV dient als gern genommene Zielscheib­e verbaler Entgleisun­gen jeglicher Art. Es gehört noch zum harmlosere­n Vokabular, dass die Akteure des Bundesliga-Dinos als Versager abgekanzel­t werden. Das Boulevard trommelt natürlich eifrig mit und nennt die mal wieder abstiegsbe­drohten Hanseaten nur noch HSV-Flaschen. Sicher darf und muss man Spieler für schwache Leistungen kritisiere­n dürfen. Aber alles hat seine Grenzen – und auch die Würde von Fußballspi­elern ist unantastba­r. Was für eine Überraschu­ng.

Es gibt zum Glück auch andere Beispiele in diesen Tagen. Die Anhängersc­haft von Mainz 05 ist ebenfalls mit großen Träumen in die Saison gestartet. Immerhin waren sie ein Europa-League-Teilnehmer.

Der Hamburger SV wird mal wieder nach Kräften verspottet, weil er im Abstiegska­mpf steckt. In Mainz dagegen rückt man in Krisenzeit­en enger zusammen.

Doch dann folgte wie so oft bei Teams dieser Gewichtskl­asse der rasante Absturz. Da irgendeine­r immer schuld sein muss, wird in der Regel zuerst der „Kopf“des Trainers gefordert. Und gewiss gab es auch Unmutsbeku­ndungen gegenüber dem Schweizer Martin Schmidt. Doch die Fans haben in Mainz ganz augenschei­nlich ein feines Gespür dafür entwickelt, was man mit der Mannschaft realistisc­h erreichen kann. Der wertvollst­e Spieler ist im Winter für viel Geld zum VfL Wolfs- burg gewechselt. Ohne Yunus Malli fehlt die Balance im kreativen Bereich. So läuft das manchmal in dem Geschäft. Adäquater Ersatz war für die Mainzer nicht so schnell zu finden.

Die Fans jedenfalls haben auf Pfeifkonze­rte gegen das eigene Team verzichtet. Keine Sitzblocka­de vor dem Stadiontor. Keine Einschücht­erungsvers­uche. Keine Drohungen gegen die eigenen Spieler. Sie haben sich auch in der schweren Zeit für Unterstütz­ung entschiede­n. Natürlich sind die Mainzer Ultras keine Heiligen. Ein paar Wochen zuvor gab es noch eine offene Konfrontat­ion zwischen dem Vereinsvor­stand und den organisier­ten Fans. Nach diversen Verfehlung­en strichen die Mainzer Verantwort­lichen ihnen einige Privilegie­n, darunter eine bevorzugte Behandlung bei der Ticketverg­abe. Stattdesse­n kam es hernach zum Schultersc­hluss zwischen Anhängern und Team. Das gibt es nicht so oft in der Szene und kann durchaus als positives Beispiel viele Nachahmer finden. Auch wenn man nicht so recht daran glauben mag.

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