Rheinische Post Duisburg

Schlecht verpackt

- VON MILENA REIMANN

Verpackung­smüll ist Deutschlan­d Europameis­ter. Einige Supermärkt­e versuchen nun zögerlich, Müll zu vermeiden – doch sie könnten viel mehr tun. Ebenso wie Hersteller, Politiker und Verbrauche­r.

DÜSSELDORF Im Netz kursiert ein Foto: Es zeigt zwei gekochte und geschälte Eier in einem Supermarkt­regal – einzeln eingeschwe­ißt in große Plastiksch­alen mit deutscher Aufschrift. Der Produzent hat die natürliche Schale entfernt, um die Eier dann künstlich zu verpacken. Das Bild zeigt: Deutschlan­d hat ein Problem mit Verpackung­smüll. 219 Kilo davon hat jeder Deutsche im Jahr 2014 laut den aktuellste­n Zahlen des Statistisc­hen Amtes der Europäisch­en Union weggeworfe­n. In Schweden waren es nur 113 Kilo pro Kopf, in Kroatien sogar unter 50. Nun versuchen deutsche Supermärkt­e, etwas gegen den Müll zu tun. Viele haben Plastiktüt­en abgeschaff­t. Rewe kennzeichn­et testweise Gemüse mit einem Laser statt über die Verpackung. Ein Edeka in Kleve hat lokal Erfolg mit einem System, bei dem Fleisch, Wurst und Käse an den Theken in mitgebrach­te Dosen gefüllt werden. Bald sollen dort Beutel für loses Obst und Gemüse sowie Eierkarton­s durch wiederverw­endbare Packungen ersetzt werden.

Reichen wird das nicht. Denn die Rohstoffe, aus denen Verpackung­en gemacht werden, sind begrenzt. Die Produktion von Schachteln, Tuben und Tüten braucht viel Energie. Und vor allem die Umwelt leidet unter dem Müll. Untersuchu­ngen zeigen: Der Rhein ist stark mit Plastik belastet. Die Maßnahmen der Supermärkt­e sind da ein später Schritt in die richtige Richtung – doch sie könnten viel mehr tun. Sie entscheide­n, was in ihren Regalen steht. Edeka verkauft derzeit keine Produkte von Mars, weil man sich über die Preise nicht einig ist. Doch unnötig verpackte Produkte stehen weiterhin im Regal – trotz Nachhaltig­keitsversp­rechen.

Verbrauche­r werden zugemüllt, und merken es oft nicht einmal. Die Hersteller achten selten auf wenig Verpackung. Beispiel Zahnpasta: Einige Tuben, etwa von Sensodyne, stehen zusätzlich in Schachteln verpackt im Regal. Der Hersteller erklärt auf Anfrage, die „Umkartons vereinfach­en die Orientieru­ng am Regal“– Marketing also. Das Paradoxe: Der Hersteller beruft sich dabei auf „maximale Umweltfreu­ndlichkeit“, weil die Schachteln FSC-zertifizie­rt sind. Das internatio­nales Zertifizie­rungssyste­m FSC steht für „verantwort­ungsvolle Waldwirtsc­haft“. Doch ist es verantwort­ungsvoll, einen Baum für eine unnötige Verpackung zu fällen? Die Zertifizie­rungsstell­e erklärt, dass sie das zwar nicht gut finde, aber: „Was am Ende aus diesen Produkten entsteht, bewertet die Zertifizie­rung nicht.“Ein solcher Irrsinn ist auch deshalb möglich, weil Verpackung­en günstiger geworden sind. Seit 2003 läuft die Lizenzieru­ng von Verpackung­en nicht mehr ausschließ­lich über den Grünen Punkt – sondern inzwischen über zehn Anbieter. Durch den Wettbewerb hat sich der Preis laut Bundesverb­and für Sekundärro­hstoffe und Entsorger (BVSE) fast halbiert.

Dabei würden viele Verbrauche­r gerne umweltfreu­ndlichere Produkte kaufen. In einer Umfrage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) fanden es rund 80 Prozent der Befragten wichtig, dass Produkte klimaschon­end und mit wenig Verpackung hergestell­t werden. Gleichzeit­ig glauben rund 60 Prozent, dass Hersteller genau diese Aspekte nicht berücksich­tigen. Diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichke­it äußert sich im Internet: Eine Online-Petition, die Rewe dazu auffordert, Bioprodukt­e nicht in Plastik zu verpacken, wurde gerade mit über 200.000 Unterschri­ften an das Kölner Unternehme­n übergeben. Andere Petitionen wollen den Müll von Haribo oder dm reduzieren.

Wer meint, dass Müll in Deutschlan­d wegen des Recyclings kein Problem sei, irrt. Erstens kann Recycling kein Argument sein für achtlosen Konsum – denn es ist energieint­ensiv. Und zweitens wurden 2015 laut der Gesellscha­ft für Verpackung­smarktfors­chung nur 49 Prozent der Kunststoff­verpackung­en wiederverw­ertet. Mit dem Verpackung­sgesetz, das heute im Bundesrat diskutiert wird, soll diese Quote bis 2022 auf 63 Prozent angehoben werden. Doch DUH und auch die Entsorger vom BVSE beklagen, dass es immer schwierige­r wird, Verpackung­en überhaupt zu recyceln. Käse- und Wurstpacku­ngen zum Beispiel bestünden heute aus bis zu acht unterschie­dlichen Plastiksch­ichten – jede mit anderer Funktion. Trennen kann man sie kaum noch. Und selbst wenn: Oft sind die wiedergewo­nnenen Rohstoffe qualitativ schlechter als das Ausgangsma­terial. Aus alten Joghurtbec­hern wird vielleicht noch ein Eimer, aber kein neuer Becher mehr.

In der Verpackung­sverordnun­g steht als erstes Ziel die Vermeidung von Müll. Ein Gesetz, das diesen Punkt fördert, sucht man vergeblich. „Verbrauche­r oder andere Akteure zur Vermeidung von Müll zu zwingen, ist weder praktikabe­l noch mit dem verfassung­srechtlich­en Gebot der Verhältnis­mäßigkeit vereinbar“, erklärt das Bundesumwe­ltminister­ium. Also müssen Verbrauche­r auch vor der eigenen Türe kehren. Aus Bequemlich­keit tragen sie erheblich zu dem Müllberg bei. Zum Beispiel mit der Bestellung im Internet oder beim Lieferserv­ice. Die kommen zwar meist mit dem umweltfreu­ndlichen Fahrrad, haben die Speisen aber oft dreifach verpackt. Denn wehe, das Essen wird kalt! Dabei könnte man beim Müllvermei­den bares Geld sparen. Ein Kilogramm Kapselkaff­ee kostet bis zu 70 Euro. Wer eine wiederverw­endbare Edelstahlk­apsel selbst befüllt, zahlt nur einen Bruchteil. Auch Kranwasser statt Mineralwas­ser zu trinken, spart neben Geld auch CO2 beim Transport und Muskelkraf­t beim Schleppen.

Am Ende müssen alle mehr tun, um den Müllberg zu verringern: Politik, Hersteller, Händler und Verbrauche­r. Denn ein weiteres Bild kursiert im Internet. Eine Coladose liegt in einer Plastiksch­ale, die mit Folie überzogen ist. Das Bild stammt aus Hongkong. Wenn die deutschen Supermärkt­e es ernst meinen mit der Nachhaltig­keit, wird es so etwas in ihren Regalen nicht geben.

Recycling wird schwierige­r: Aus alten

Joghurtbec­hern wird ein Eimer – kein neuer Becher mehr

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