Der Erzähler vom Niederrhein
Im Alter von 87 Jahren ist Willi Fährmann in Xanten gestorben, einer unserer populärsten Jugendbuchautoren.
XANTEN Wollte man Willi Fährmann in drei Sätzen beschreiben, müsste man diese wählen: Er war katholisch. War Rheinländer. Und einer der liebenswürdigsten Erzähler. An Christi Himmelfahrt ist Willi Fährmann, einer der populärsten Jugendbuchautoren Deutschlands, im Alter von 87 Jahren in seiner Heimatstadt Xanten gestorben.
Die drei Kurzbeschreibungen werfen Nachfragen auf. Nach dem Katholisch-sein zuerst. Das klingt altertümlich, doch für Fährmann ist es zeitlebens relevant geblieben: für seine Lebensführung, seine Bücher und seine Helden, die in Krisensituationen immer wieder im Glauben Halt und Zuversicht finden. Bei Fährmann werden die jungen Leser mit einer Existenzerfahrung konfrontiert, die ihnen selbst die Kirchen oft schuldig blieben. Seine Bücher sind Transmissionsriemen seiner tiefen Überzeugung. „Wir wissen, dass unser Glaube vor allem in Geschichten und Bildern durch die Jahrhunderte weitergegeben worden ist. Es ist sehr wohl eine Aufgabe, dass diese Quellgründe nicht verschüttet werden“, sagte er.
Darum ein Rheinländer? Die zweite Kurzbeschreibung zeigt nicht mehr (aber auch nicht weniger), dass Fährmann wusste, woher er kam. Und dass er – trotz Aus- landsreisen – auch dort blieb, wo er glaubte, hinzuzugehören. Fährmann wurde 1929 in Duisburg geboren und in eine Kindheit hinein, die nicht sonnenbeschienen war: der Vater, ein Arbeiter der KönigBrauerei, der zum Teil mit DeputatBier entlohnt wurde, das wiederum einem Nachbarn zugutekam, der die Familie in der Küche frisierte und – wie Fährmann sich erinnerte – von Flasche zu Flasche kreativer wurde. Da kamen viele Geschichten zusammen, die der Junge hörte und denen dank der Erzählfreude von Oma weiteres Leben eingehaucht wurde. Sie ist für Fährmann die „Mutter des Erzählens“gewesen, die sich nach Kriegsende, wie sich der Autor erinnerte, eindrucksvoll über die Zeitung nach Kriegsende freute: „Drei Tage später kam der Zeitungsbote und lieferte die Rheinische Post. Und ob man es glaubt oder nicht, die Oma hielt sie ganz feierlich mit beiden Händen und drückte einen Kuss auf das Papier.“
Auf Willi Fährmann hat zunächst nicht das Erzählen gewartet, sondern die Pflicht. Eine Maurerlehre absolvierte er, bis er über eine Begabtensonderprüfung doch noch an die Uni kam, 1953 Lehrer an einer Duisburger Volksschule und zehn Jahre später Schulleiter in Xanten wurde. Dort ist er geblieben bis zu seinem Tod – in der Geburtsstadt des Nibelungen Siegfried, des- sen Geschichte Fährmann jugendgerecht nacherzählt hat. Wer Fährmann besuchte, stand bald am Wohnzimmerfenster, vor dem sich der Niederrhein ausbreitete. Im Boden seines Vorgartens verläuft eine Mauer der Römer. Niederrhein und die Welt waren bei ihm einen Katzensprung voneinander entfernt.
Und seine Liebenswürdigkeit? Willi Fährmann war ein zurückhaltender Mensch, und wie alle, die nicht mit der Tür ins Haus fallen, verbindlich. Seine ernste Freund- lichkeit war echt. Auch das machte ihn als Lehrer, Autor und Erzähler so beliebt. Wie schön, dass etliche Schulen nach ihm benannt wurden.
Zehn Millionen Bücher verkaufte er, fast alle großen Ehrungen bekam er: den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, für „Der lange Weg des Lukas B.“den Deutschen Jugendliteraturpreis wie auch den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis.
Gutherzig ist Willi Fährmann als Mensch gewesen, was nicht heißt, dass er liebliche Geschichte erzählte. Im Gegenteil. Willi Fährmann gehörte zu den ersten, die Problemthemen anpackten. Die Zeit rund um das Dritte Reich mit Vertreibung, Antisemitismus und „Kinderlandverschickung“sind Dreh- und Angelpunkt seiner Literatur geblieben. Unter seinen etwa 50 Büchern findet sich auch die unglaubliche Biermann-Saga, mit der die Geschichte einer ostpreußischen Familie von 1868 bis 1974 erzählt wird.
So einen wie Willi Fährmann – gleichwohl er ein realistischer Autor war – gibt es nicht mehr. Das sagt man am Tag der traurigen Todesnachricht so schnell, wie man es in vielen Fällen sagt. Doch bei Willi Fährmann, dem gutherzigen, wertestarken Erzähler vom Niederrhein hat man doch das Gefühl, wie sehr wir, die Leser, ihn und seine Geschichten vermissen werden.