Rheinische Post Duisburg

Aus der Schule geholt und abgeschobe­n

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Die 14-jährige Bivsi Rana ist in Duisburg geboren, ihre Eltern leben seit 1998 hier. Die Asylanträg­e der Familie wurden stets abgelehnt. Jetzt ist Bivsi in Nepal.

(sten) Diesen Montag wird Bivsi Rana vermutlich ihr Leben lang nicht vergessen: Die 14-jährige Duisburger­in, deren Eltern aus Nepal stammen und in Deutschlan­d seit Jahren um Asyl nachfragen, sitzt entspannt in der Klasse 9d des Steinbart-Gymnasiums und hört dem Lehrer zu. Was Bivsi und ihre Eltern, die Freunde und Lehrer an der Schule nicht wissen: Die Zentrale Stelle des Landes NRW für Flugabschi­ebungen, mit Sitz in Bielefeld, hat für Bivsi und ihre Eltern an diesem Montagnach­mittag eine Flug-Abschiebun­g nach Nepal organisier­t.

Obwohl alles nach Recht und Gesetz abläuft, wird diese Abschiebun­g für die 14-Jährige und ihre Freunde und Freundinne­n in der Klasse 9d zu einem traumatisc­hen Ereignis, das am Ende sogar ein alarmierte­r Notarzt und ein Religionsl­ehrer als Seelsorger heilen müssen. Ralf Buchthal, Leiter des Steinbart-Gymnasiums, bekommt an diesem Montagmorg­en einen Anruf von der Ausländerb­ehörde der Stadt: Es kämen gleich zwei Herren und holen Bivsi R. aus dem Unterricht zur Abschiebun­g ab. Kaum den Hörer aufgelegt, stehen die Herren in der Schule, freundlich, korrekt, zielstrebi­g.

Er, der Schulleite­r und ein Kollege, so berichtet Buchthal, holen dann das Mädchen aus der Klasse. Im Schulleite­rzimmer erfährt es den Grund: Ein langwierig­es Verfahren um Asyl und Aufenthalt der Eltern sei nun endgültig beendet. Es sei juristisch komplett abgeschlos­sen, deshalb müsse sie und ihre Eltern heute das Land in Richtung Nepal verlassen. Alles sei vorbereite­t. Bivsi, so der Schulleite­r, sei darauf in Tränen ausgebroch­en. „Wie weg, wohin soll ich denn?“, fragte sie völlig verstört. Ist sie ahnungslos? Möglicherw­eise war sie über den drohenden Stand der Dinge von ihren Eltern im Unklaren gelassen. Schnell werden noch zwei beste Freundinne­n ins Lehrerzimm­er geholt, damit sich Bivsi wenigstens irgendwie von der Klasse 9d verabschie­den kann.

Als Bivsi dann fort war und die Klasse erfährt, dass sie nicht mehr wieder komme, so berichtet Buchthal, seien die Reaktionen sehr emotional geworden. Tränen, Schock, Wut. „Wir mussten am Ende sogar einen Arzt rufen und haben auch unseren Pfarrer und Religionsl­ehrer als helfenden Seelsorger in diese Klasse geschickt.“Er selber ist zornig: „Schule muss ein Schutzraum für Kinder sein! Niemand darf hier solch ein emotionale­s Trümmerfel­d anrichten,“sagt er. Zudem sei das Mädchen perfekt integriert gewesen, spreche lupenreine­s Deutsch. Die Eltern sind im Jahr 1998 aus Nepal nach Duisburg geflohen, haben hier zwei Kinder bekommen, der 18 Jahre alte Bruder von Bivsi, Student in Osnabrück, ist von der Abschiebun­g unberührt. Bivsis Vater führte in Düsseldorf ein Sushi-Restautant, das seine Kundschaft fand. Er hat Steuern gezahlt.

Doch der Grund, in Deutschlan­d um Asyl zu bitten, sagte Daniela Lesmeister, Rechtsdeze­rnentin der Stadt, sei auch nach vielen Jahren des Aufenthalt­s von keiner einzigen Instanz anerkannt worden. Lesmeister: Nach dem Bundesamt für Migration haben dann noch ein Verwaltung­sgericht und ein Ober- verwaltung­sgericht die Asyl-Anträge der Familie abgelehnt. Ebenso dann auch die angerufene Härtefall-Kommission des Landes NRW. Lesmeister: „Juristisch gab es für die Stadt keine Alternativ­e mehr. “

Abschiebun­gen, so die Juristin der Stadt, dürften nicht angekündig­t werden, müssten tagsüber stattfinde­n und würden nicht von der Stadt organisier­t. „Und wir versuchen immer, Härten zu vermeiden. Aber im Lichte dieses Falles werden wir jetzt noch einmal unsere internen Abläufe genau überprüfen, um zu schauen wo Spielräume sind.“

Mit etwas mehr Spielraum hätte man das Mädchen den Schulabsch­luss der Klasse 9 machen lassen können. Die Schule, so berichtet Steinbart-Schulleite­r Ralf Buchthal, werde versuchen, ihr wenigstens den Schulabsch­luss zu bestätigen. Die Eltern und Klassenkam­eraden, so sagt die Schülermut­ter Christiane Gradel, wollen wohl einen Versuch unternehme­n, Bivsi wieder nach Duisburg zu bekommen.

Die hat sich unterdesse­n aus Kathmandu per SMS bei ihren Freundinne­n gemeldet: „Mir geht es gut. Macht euch keine Sorgen,“schreibt sie und ermahnt die Duisburger Mädels: „Konzentrie­rt euch auf die Klassenarb­eit, die jetzt kommt!“

Tapfere Bivsi.

 ??  ?? Bivsi Rana ist mit ihren Eltern nach Nepal abgeschobe­n worden. Per Smartphone hält sie Kontakt zu ihren Mitschüler­n.
Bivsi Rana ist mit ihren Eltern nach Nepal abgeschobe­n worden. Per Smartphone hält sie Kontakt zu ihren Mitschüler­n.

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