Rheinische Post Duisburg

Von wem NRW lernen kann

- VON FRANK VOLLMER

Unterricht­sausfall, G 8 – schulpolit­ische Baustellen gibt es in Nordrhein-Westfalen genug. Ideen, wie man es anders machen kann, allerdings auch. Bildungsex­perten haben sich in den Bundesländ­ern umgesehen.

DÜSSELDORF Auf den Bildungsfö­deralismus wird gern geschimpft: 16 Bundesländ­er, und jedes leistet sich sein eigenes Schulsyste­m! Nach Landtagswa­hlen allerdings, erst recht nach Regierungs­wechseln, wird der Blick auf die deutsche Schullands­chaft plötzlich interessan­t. Dann geht es nämlich darum, von wem die neue Regierung lernen könnte. Handlungsb­edarf in NRW gibt es wahrlich genug – vom „Turbo-Abi“bis zur Inklusion. Eine Reise durchs Land der schulpolit­ischen Ideen. Bayern Der Blick nach Süden ist ein Klassiker, vor allem unter Konservati­ven. Der Nimbus hat zwar Kratzer bekommen, weil auch die Bayern Reformen mit zweifelhaf­tem Erfolg ins Werk gesetzt haben. Und wenn die Abitur-Ergebnisse zu schlecht waren, wurden auch mal kurzerhand Notenvorga­ben geändert. Gerade derzeit aber schauen zum Beispiel die Befürworte­r einer flächendec­kenden Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium neidisch auf Bayern, denn dort passiert genau das.

„Bayern zeigt Rückgrat“, sagt Ulrich Czygan, Vorsitzend­er der Landeselte­rnschaft der Gymnasien. Ingrid Habrich, Chefin der Rheinische­n Direktoren­vereinigun­g, fügt hinzu: „Wir würden eine klare Entscheidu­ng zwischen G8 und G9 wie in Bayern sehr begrüßen.“Nicht unbedingt aus Liebe zu G9: Beide Systeme seien machbar. Schulleite­r und Eltern fürchten aber eine Zersplitte­rung durch Wahlfreihe­it der Schulen oder gar G8 und G9 parallel an einer Schule. „Das wäre eine Katastroph­e“, sagt Habrich.

Auch für den Kieler Bildungsfo­rscher Olaf Köller ist Bayern vorbildlic­h, allerdings in anderer Hinsicht: „Bayern ist ein Musterbeis­piel für eine perfekte Schulaufsi­cht“, sagt Köller. Die Behörden verständen sich dort vor allem als Berater und als Qualitätse­ntwickler statt als Kontrollin­stanzen. Hessen CDU-Spitzenkan­didat Armin Laschet hat im Wahlkampf den seit 2014 schwarz-grün regierten Nachbarn als Vorbild in Sachen Inklusion genannt. Hessen belegt einen der letzten Plätze beim Anteil der behinderte­n Kinder, die eine Regelschul­e besuchen. Für die CDU ist das kein Manko, sondern Ausweis behutsamer Politik. Tatsächlic­h ist in Hessen die Zahl der Förderschu­len seit 2010 nur um 1,7 Prozent gesunken, in NRW dagegen um fast 28 Prozent. Im hessischen Koalitions­vertrag ist sogar das Ziel niedergele­gt: „Wo es von den Eltern gewünscht wird, werden wir das Förderschu­lsystem weiterentw­ickeln.“Die Strategie hilft, Verwerfung­en wie in NRW zu vermeiden – aber sie ist auch teuer, weil sie die Doppelstru­ktur aus Förder- und Regelschul­en erhält.

Für Schulleite­rin Habrich ist Hessen bei der Personalve­rsorgung der Schulen vorbildlic­h: „Die haben schon lange eine 104-prozentige Ausstattun­g.“So könne jede Schule ihre eigene Vertretung­sreserve bilden. Im Rheinland dagegen haben die Gymnasien mancherort­s nicht einmal 100 Prozent der Stellen zur Verfügung, die ihnen rechnerisc­h zuständen. Ostdeutsch­land Einen Blick auf den deutschen Leistungss­ieger Sachsen zu werfen, liegt nahe. Elternvert­reter Czygan lobt den sächsische­n „Mut, sich zu Leistung zu bekennen“. Dazu gehöre auch, dass Kinder mit eingeschrä­nkter Gymnasiale­mpfehlung eine Aufnahmepr­üfung absolviere­n müssten. Das sei im Interesse der Kinder, sagt Czygan: „Wenn sie nach zwei Jahren nicht mehr mitkommen, ist das für alle eine schlimme Erfahrung.“Bildungsfo­rscher Köller sieht solche Wünsche mit großer Skepsis: „Wenn die Gymnasien selektiere­n wollen, schaufeln sie sich ihr eigenes Grab.“Die Leistungsf­ähigkeit der Schüler sei nicht gesunken, obwohl heute viel mehr Viertkläss­ler ans Gymnasium wechselten. Entscheide­nd sei, die Qualität des Unterricht­s zu stei- gern. Köller verweist auf Brandenbur­g: „Was die etwa bei ihren Leistungen in Englisch geschafft haben, ist beeindruck­end – da wurden konsequent Mittel für die Lehrerfort­bildung auf diesen Schwachpun­kt umgeschich­tet.“ Bremen Bremen? Ja. Der Stadtstaat belegt in Bildungsra­nkings zwar regelmäßig den letzten Platz. Trotzdem, sagt Schulleite­rin Habrich, könne man von einer Bremer Lösung lernen: „Zwei Schulsyste­me unter einem Dach, eine Regel- und eine Förderschu­le. Die Kinder mit Förderbeda­rf haben ihre eigene Schule, aber bestimmte Projekte finden mit der Regelschul­e zusammen statt.“

Der Blick in den Süden Deutschlan­ds ist

ein Klassiker, vor allem unter Konservati­ven

Berlin Auch in Berlin ist nicht alles schlecht: „Schwierig in der Umsetzung, vorbildlic­h in den Ideen“nennt Köller das Berliner Schulsyste­m. Gymnasium hier, integriert­e Sekundarsc­hule dort, beide führen zum Abitur – das Gymnasium nach zwölf, die Sekundarsc­hule nach 13 Jahren. Auch in NRW sind Strukturre­formen nicht völlig undenkbar: An den „Schulfried­en“von 2011, der Strukturdi­skussionen bis 2023 ausschließ­en sollte, fühlt sich die FDP nicht gebunden, weil sie ihn nicht mittrug.

Berlin habe zudem, so Köller, die Lehrerausb­ildung um Inklusions­elemente angereiche­rt. Bei den Lehrer-Pflichtstu­nden am Gymnasium liegt Berlin am oberen Ende der Länderskal­a. ... und das Ausland Dass der einstige Pisa-Primus Finnland mit seiner egalitären Schulkultu­r nicht das gelobte Land ist, hat sich herumgespr­ochen – Finnland ist abgesackt; möglicherw­eise beruhten die Erfolge auf Nachwirkun­gen des alten, leistungsf­ixierten Schulsyste­ms. Trotzdem lohne der Blick nach Norden, so Czygan, ebenso wie nach Westen: „Lehrer müssen sich wieder auf den Unterricht konzentrie­ren können. In dieser Beziehung sind Skandinavi­en und Frankreich vorbildlic­h mit ihrem Einsatz von Schulverwa­ltungsassi­stenten.“Die nähmen den Lehrern „die ganze Bürokratie“ab. Mehr Schulverwa­ltungsassi­stenten – eine alte Forderung der CDU aus Opposition­szeiten.

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