Primitiver Antiamerikanismus
Trump personifiziert die westeuropäisch-amerikanische Entfremdung. Das eigentliche Problem aber sind die Weltsichten beider Erdteile.
Amerikas Präsident Trump ist Amerikas primitive Rache für primitiven Antiamerikanismus. Für den Antiamerikanismus, der seit Jahrzehnten von weiten Teilen der deutschen und westeuropäischen Öffentlichkeit und teils auch der Politik geradezu ritualisiert und zelebriert wurde. Natürlich gibt es viele inneramerikanische Gründe für den Wahlsieg Trumps, aber der westeuropäische und allen voran der zunächst west-, dann gesamtdeutsche und westeuropäische Antiamerikanismus war eben ein nicht unwichtiges Motiv.
Dessen Tenor lautet ungefähr so: „Genug ist genug. Denen werden wir es endlich zeigen. Wir haben Deutschland und Europa von Hitler befreit. Sie selbst konnten oder wollten es nicht. Nur Dank uns Amerikanern wurden im Kalten Krieg Deutschland und Westeuropa nicht von der Roten Armee und den kommunistischen Diktaturen überrollt. Nur Dank uns stiegen Westdeutschland und Westeuropa in dieser Zeit wieder zu wirtschaftlichen Weltmächten auf. Wir haben mit Menschen, Material und viel Geld, wenngleich nicht fehler- oder gar moralisch einwandfrei Deutschland und Westeuropa die Freiheit erhalten. Wir zahlten, die kassierten, und wir sicherten ihre guten Geschäfte militärisch ab. Ohne uns gäbe es nicht die Wiedervereinigung Deutschlands und damit das Ende der kommunistischen Staaten Europas. Auch in der Terrorabwehr wären Deutsche und Europäer ohne uns – und die Israelis – aufgeschmissen. Auch umweltpolitisch schneidet Deutschland, bei näherer Betrachtung, im Vergleich zu den USA weniger heilig ab als üblicherweise wahrgenommen und kundgetan. Erwähnt sei hier die globale Vorreiterrolle Kaliforniens. Immerhin der sechstgrößte Industrie-„Staat“der Welt. Muss man daran erinnern, dass die deutschen Vorzeigemarken Audi und Volkswagen sich wie umweltpolitische Heilige darstellten? Als Scheinheilige wurden sie zuerst in und von den USA überführt und zur Kasse gebeten. Nur verständnisvollen US-Richtern verdanken diese deutschen Edelmarken und tausende Arbeitnehmer Germaniens den Erhalt dieses Konzerns.“Fazit des Durchschnittamerikaners: „Zum Dank für all das trat und tritt man uns in Deutschland und Westeuropa in den Allerwertesten. Deshalb, wie Trump es sagt: America First.“
Natürlich ist diese Wahrnehmung amerikanischer Politik oder der westeuropäischen Reaktionen auf und der Aktionen gegen sie drama- tisch verkürzt, doch sie ist alles andere als falsch. Amerikas Strafe in der Person Trumps ist hart. Sie ist menschlich, politisch und kulturell unerträglich. Sie ist allianz- und weltpolitisch schädlich. Wie fast jede Strafe ist sie nicht klug. Sie löst auch keine alten Probleme, sondern schafft neue. Doch leider ist sie sowohl verständlich als auch gerecht. Es war absehbar, dass sich bei immer mehr Amerikanern immer mehr Ärger aufstauen und Luft machen würde. Trump ist der Mund des amerikanischen Bauches.
Das bedeutet: Ja, Trump ist ein Problem. Doch nein, er ist nicht „das“Problem. Trump personifi- ziert nur die deutsch-westeuropäisch-amerikanische Entfremdung und Entfernung. Nicht seine Person ist das Problem, sondern die Sache selbst, also die politischen Wertund Weltsichten beider Weltteile.
Vorsicht, liebe Deutsche und Westeuropäer, zur moralischen Selbstüberhöhung haben wir keinen Grund. Seit Langem schon haben die von uns gewählten Vertreter versprochen, den Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts aufzustocken. Eingelöst wurde das mehrfache Versprechen nicht, denn wir Wähler wollten es nicht. Wir wollten und wollen lieber stattliche ebenso wie staatliche Wohlfahrtspolitik, keine Aufrüstung. Dass „die“Amerikaner das machen, finden die meisten von uns bequemer. Es kostet uns weder Menschen noch Material oder Geld, und zudem bleiben wir auf diese Weise antiheldisch, antimilitaristisch, moralisch. Die Drecksarbeit erledigen für uns „die Amis“. Dieses Wunschgeflecht haben unsere Politiker uns bislang erfüllt, weil es die USA hinnehmend ermöglichten.
Nun ist die Party zu Ende, und Trump, also die Mehrheit der Amerikaner, sagt es uns unverblümt. Sie sagen es uns nicht auf die feine englische, bürgerlich-europäische Art, sondern nach Wildwest-Manier. Wir, Wähler Deutschlands und Westeuropas, sind empört und unsere Politiker sind empört. Freibier made in USA gibt es einstweilen nicht mehr. Wer wollte nicht unseren Ärger verstehen. Auch den Ärger unserer Politiker, die uns nun eher in den Geldbeutel greifen müssen als beschenken können, was sie wollen und müssen, um gewählt zu werden. Seien wir selbstkritisch: Kann man nicht auch „die“Amerikaner verstehen? Verstehen heißt nicht gutheißen, aber es ist der erste Schritt zu einer Korrektur. Beidseitig ist sie nötig. Bitte weniger Selbstgerechtigkeit und mehr Selbstkritik. Auf beiden Seiten des Atlantiks.