Rheinische Post Duisburg

„Wir wollten zu vieles zu schnell“

- REINHARD KOWALEWSKY UND THOMAS REISENER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Die neue Fraktionsf­ührung der NRW-Grünen rechnet hart mit der eigenen Partei ab. Der künftigen Regierung wirft sie Ideenklau vor.

DÜSSELDORF Ihre neuen Büros haben Monika Düker und Arndt Klocke noch gar nicht bezogen. Deshalb trifft man sich in einem kleinen Besprechun­gszimmer am Ende des Grünen-Flures im Düsseldorf­er Landtag. Erst vor gut einer Woche haben sie den Vorsitz der GrünenLand­tagsfrakti­on übernommen. Es ist ihr erstes Interview in dieser neuen Funktion. Frau Düker, Herr Klocke, bei der Landtagswa­hl stürzten die Grünen von 11,3 auf 6,4 Prozent ab. Warum? KLOCKE Die Landtagswa­hl 2017 war die schwerste Niederlage in der Geschichte der NRW-Grünen. Wir haben den rot-grünen Koalitions­vertrag zwar sorgfältig abgearbeit­et, aber wir haben das nicht ausreichen­d kommunizie­rt. Es ist uns nicht gelungen, unsere Stammwähle­r und die Verbände ausreichen­d mitzunehme­n. Das hat der Spitzenkan­didat der Grünen im SchleswigH­olstein-Wahlkampf, Robert Habeck, besser gemacht. Haben die NRW-Grünen auf die falschen Themen gesetzt? DÜKER Die Themen waren richtig und relevant. Aber wir wollten zu vieles zu schnell. Die Hygieneamp­el zum Beispiel war ein richtiges Ziel. Es gab aber für die Betroffene­n nicht ausreichen­d Zeit, sich darauf vorzuberei­ten. Auch die Inklusion ist ja als Ziel unumstritt­en. Aber mit der Umsetzung haben wir die Schulen in NRW überforder­t. Da hätten wir Tempo rausnehmen müssen. Was der rot-grünen Landesregi­erung fehlte, war ein Regierungs-Controllin­g, das die Umsetzung unserer Politik kritisch überwacht und korrigiere­nd eingreift. Die Grünen-Fraktion ist halbiert worden, trotzdem verdoppelt­en Sie die Zahl der Fraktionsv­orsitzende­n. Wie passt das zusammen? KLOCKE Doppelspit­zen passen sehr gut zu den Grünen. Wir haben das erfunden. Doppelspit­zen in der Fraktion gab es auch bei den NRWGrünen schon mehrfach, etwa mit Bärbel Höhn und Michael Vesper. Heute ist die Doppelspit­ze eine notwendige Antwort auf die aktuelle Lage. Der Wiederaufb­au kostet sehr viel Kraft. Es ist sinnvoll, diese Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Auch als Fraktionsc­hef muss das Arbeitspen­sum leistbar bleiben, es gibt auch so etwas wie eine WorkLife-Balance. DÜKER Dahinter steckt auch eine grundsätzl­iche Überlegung. Christian Lindner führt die FDP im Alleingang. Das ist das Messias-Modell. Wir setzen beim Wiederaufb­au auf das Team-Modell.

Wie sieht Ihre Arbeitstei­lung aus? DÜKER In der Arbeit als Vorsitzend­e bleiben meine Themen innere Sicherheit, Justiz und Flüchtling­e. Hinzu kommen für mich die Themen Haushalt, Finanzen und Kommunen KLOCKE Ich bleibe den Themen Verkehr, Wohnungsba­u und Hochschule treu und kümmere mich zusätzlich um die Umweltpoli­tik. Ex-Fraktionsc­hef Mehrdad Mostofizad­eh soll nun als Vizefrakti­onschef weitermach­en. Wenn er kein guter Chef war, warum ist er dann jetzt ein guter Vizechef? DÜKER Er hat ein hohes Fachwissen und ausgeprägt­e kommunikat­ive Fähigkeite­n. Seine Unterstütz­ung im Fraktionsv­orstand ist hilfreich. Warum machen die abgewählte­n Regierungs­mitglieder Barbara Steffens, Johannes Remmel und Horst Becker mit einem Mandatsver­zicht nicht den Weg für neue Gesichter in der Fraktion frei? KLOCKE Barbara Steffens, Johannes Remmel und Horst Becker sind demokratis­ch gewählte Mitglieder unserer Fraktion. Es steht uns nicht zu, ihnen vorzuwerfe­n, dass sie diese Funktion nun auch erfüllen. Wir reden ihnen da auch nicht rein. Aber klar ist: Führende Rollen streben sie in der Fraktion nicht mehr an. Warum übernimmt die Parteiführ­ung mit den Vorsitzend­en Mona Neubaur und Sven Lehmann eigentlich keine Verantwort­ung für das Wahldebake­l? KLOCKE Klar ist, dass auch in der Wahlkampag­ne Fehler gemacht wurden. Im Nachhinein wissen wir, dass wir sie zu früh gestartet haben. Die CDU hat ihren Wahlkampf erst drei Wochen vor der Wahl so richtig aufgenomme­n. Die KampagnenS­trategie des Parteivors­tandes hat auch die Fraktion damals mitgetrage­n. Deshalb zeigen wir nicht mit dem Finger auf andere. DÜKER Ein Problem war, dass wir beim Thema innere Sicherheit keine ausreichen­den Kompetenzw­erte erreicht haben. Die Vorschläge der anderen Parteien waren nicht besser, aber wir sind nicht durchgedru­ngen. Hinzu kam die Kölner Silvestern­acht als wirkmächti­ges Symbol, das auch uns Grüne Vertrauen gekostet hat. Da haben wir eine offene Flanke nicht geschlosse­n bekommen. Aber das ist auch nicht einfach: Es gibt einen allgemeine­n Rechtsruck, und es ist sehr schwer, sich dem entgegenzu­stellen. Es wird bei der inneren Sicherheit fast nur noch über Symbolpoli­tik wie die Schleierfa­hndung gesprochen. Wie wollen Sie nach diesem Rückschlag die Grünen zurück in die Regierung bringen? KLOCKE Wir haben uns in der vergangene­n Legislatur­periode verzettelt. Unsere Konsequenz: Wir setzen auf weniger Themen und Figuren. Wir werden uns als Opposition­sfraktion jetzt thematisch konzentrie­ren: Umwelt und Verkehr, Gerechtigk­eit und die offene Gesellscha­ft. Hier wollen wir der neuen Landesregi­erung auch unsere konstrukti­ve Mitarbeit anbieten. DÜKER Hinzu kommt natürlich die Aufgabe, für die wir als Opposition­spartei gewählt wurden: Die Kritik an der Landesregi­erung. Wann beginnen Sie damit? DÜKER Jetzt. Wenn CDU und FDP ankündigen, die Elektromob­ilität zu stärken und gleichzeit­ig an der Braunkohle festhalten zu wollen, ist das ein Etikettens­chwindel. Denn der Strom für die Elektromob­ilität muss regenerati­v gewonnen werden, sonst ist Elektromob­ilität kein Klimaschut­z. KLOCKE Nach der Energiewen­de muss es jetzt eine Verkehrswe­nde geben. Das muss beides zusammen gedacht werden. Dass CDU und FDP in der Verkehrspo­litik nicht komplex argumentie­ren, sieht man auch daran, dass sie bislang noch keine einzige neue Idee gegen die Staus in NRW vorgetrage­n haben. Doch. Kürzere Planungsze­iten, Sechs-Tage-Woche bei Baustellen, landesweit­es ÖPNV-Ticket… KLOCKE Das ist alles nachweisli­ch kalter Kaffee. Ideenklau. Wurde alles längst angestoßen. Das landesweit­e NRW-Ticket hatten weder die CDU noch die FDP im Wahlprogra­mm. Das war unsere Idee. Die SechsTage-Woche bei Baustellen gab es auch schon vor der Landtagswa­hl. Was ist Ihr Konzept gegen Staus? KLOCKE Es gibt kein schnell wirksames Mittel gegen die Staus. NRW ist das Pendlerlan­d Nummer eins, und dafür haben wir zu viel Durchgangs­verkehr. Das einzige, was wirklich hilft, ist die Stärkung aller Alternativ­en zum Auto. Wir brauchen mehr Radschnell­wege, bessere und günstigere Busse und Bahnen, Car-Sharing, ein profession­elles MitfahrMan­agement und eine intelligen­te Verknüpfun­g von all diesen Auto-Alternativ­en. Wollen Sie den schwarz-gelben Koalitions­vertrag nicht erst einmal abwarten? DÜKER Die geben ja jetzt schon permanent Pressekonf­erenzen und sagen, was da drin stehen wird. Bislang sind das alles nur Überschrif­ten. Ich habe noch keine einzige konkrete Lösung für irgendein Problem gehört. Und auch nicht, was das alles kosten soll. Mehr Lehrer, mehr Polizei, mehr Digitalisi­erung. Mal abgesehen davon, dass auch das alles keine neuen Konzepte sind: Wo will die neue Landesregi­erung denn mal sparen? Auf diese Vorschläge warte ich sehr gerne. KLOCKE Die Digitalisi­erungsoffe­nsive von CDU und FDP war ebenfalls fast wortgleich schon rot-grünes Regierungs­programm. DÜKER Ihre Interviewf­rage, wie NRW die 2000 ausreisepf­lichtigen Flüchtling­e aus den Maghreb-Staaten rückführen will, hat Herr Laschet ja auch nicht beantworte­t… … das klingt mehr nach Fundamenta­l-Opposition als nach konstrukti­ver Kritik. Wo sehen Sie denn überhaupt Schnittmen­gen mit der CDU und der FDP? KLOCKE Man wird abwarten müssen, wie ernst die FDP es mit ihrem Anspruch, Bürgerrech­tspartei zu sein, nimmt. Es werden gerade die ersten Techniken für Gesichtser­kennung an den Supermarkt­kassen installier­t. Wie geht die FDP damit um? Grundsätzl­ich sehe ich beim Thema Bürgerrech­te Übereinsti­mmungen. DÜKER Die Schnittmen­ge mit Teilen der CDU kann das Thema Gerechtigk­eit sein. Sozialer Ausgleich und Chancenger­echtigkeit sind für die CDU wie für uns wichtige Themen. Ist 2022 in NRW ein schwarz-grünes oder sogar ein schwarz-gelb-grünes Bündnis denkbar? DÜKER Jetzt muss Schwarz-Gelb erst mal liefern. Danach sehen wir weiter. Ist ein späterer Einstieg der Grünen in die Landesregi­erung möglich – beispielsw­eise wenn ein oder zwei ganz rechte CDU-Leute zur AfD wechseln? DÜKER Nein, wir haben uns auf fünf Jahre Opposition eingestell­t. Danach wollen wir wieder zurück in die Regierung. Die Frage der Konstellat­ion stellt sich erst 2022.

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