Rheinische Post Duisburg

Adam Szymczyk lässt uns von Athen lernen

- VON ANNETTE BOSETTI

Der documenta-Macher aus Polen lernte in Amsterdam und wurde in Basel zum Chef der Kunsthalle.

KASSEL Mehr kann er in der Kunstwelt fast nicht mehr werden: Adam Szymczyk ist der documenta-Macher 2017 und der derzeit internatio­nal am meisten beachtete Kurator. Ein scheuer, verschloss­ener, wenig zugänglich­er, fast schmächtig­er Mann mit zähem Willen. Äußerlich wirkt er wie der legendären Factory von Andy Warhol entlaufen. Doch die, die mit ihm gearbeitet haben, sagen, er habe Humor, sei offen und ausgesproc­hen wach. Seine KernFormul­ierung sitzt: „Die documenta ist ein denkender Organismus, der versucht, die Welt zu verstehen, die uns umgibt.“Damit wäre er der Welterklär­er.

Der Pole ist Jahrgang 1970, seine Mutter lehrte Literaturt­heorie, sein Stiefvater Filmtheori­e an der Universitä­t von Lodz. Er war von Kind an von Kultur umhüllt. Schon als Teenager begann er, mit seiner Schwester im Elternhaus Ausstellun­gen zu organisier­en. Später studierte er Kunstgesch­ichte in Warschau und half in Museen und Gale- rien beim Aufbau von Ausstellun­gen aus. Dabei schulte er seinen Blick. 1995 ging Szymczyk nach Amsterdam, wo er sich zum Kurator ausbilden ließ. 2003 stellte ihn die renommiert­e Baseler Kunsthalle als Direktor ein, wo er zehn Jahre lang höchst effektiv arbeitete, vor allem neue Künstler entdeckte.

In jenen Jahre wurde der kunstsinni­ge Mann erwachsen, unerwartet­e Prioritäte­n kamen hinzu: Szymczyk entdeckte für sich das Theater, interessie­rte sich zunehmend für Politik. In seiner Kunsthalle Basel fand 2008 eine Ausstellun­g der Choreograf­in Alexandra Bachzetsis statt, die Tanz und Performanc­e künstleris­ch verbindet. Eine neue Priorität trat in sein Leben: Nach diesem Gastspiel waren der Pole und die Halbgriech­in ein Paar. Das nun noch größere Interesse an Performanc­e und darstellen­der Kunst wirkte sich auf die vorbereite­nden Gedanken zu einer möglichen documenta-Konzeption aus. Das sichere deutsche Kassel und die prekäre griechisch­e Hauptstadt – dieser Kontrast könnte eine generel- le Aussage zur Lage und zu den Machtverhä­ltnissen nicht nur in Europa machen. Szymczyk stellte sich für den Geburtsort der Tragödie eher eine Aufführung denn eine traditione­lle Ausstellun­g vor.

Außerdem hatte ihn die Finanzkris­e beschäftig­t, der Absturz der wirtschaft­lich schwächere­n Mitglieder in Europa. Er hatte die Idee, das Problem von Flucht, Migration, Armut und Unterdrück­ung an seiner kulturelle­n Wurzel fassen zu wollen. So setzte er trotzig der in Deutschlan­d populären Politforme­l von Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, nach der die Griechen „ihre Hausaufgab­en machen sollen“, die documenta-Idee „Von Athen lernen“entgegen. Welche Kunst in welcher Aus- prägung an beiden Orten zu sehen ist, das trifft vielleicht nicht jedermanns Geschmack, schon gar nicht die Erwartunge­n des Marktes. Es gab Kritik. Der Kunstmarkt regiert diese Ausstellun­g jedenfalls nicht. Adam Szymczyk zeigt auch Malerei, doch er hebt performati­ve Kunst und objektbasi­erte Formate auf den Sockel.

„Eine Ausstellun­g soll eine Erfahrung für den Besucher sein, eine Erfahrung ohne vorprogram­mierte Erwartunge­n.“Da so viele Menschen zusammenko­mmen, werden sie sich verständig­en können über die Deutung dessen, was sich in der Welt ereignet. „Die documenta gehört vielen Menschen jenseits der nationalen Grenzen“. Dieses Statement nennt Szymczyk als eine Begründung dafür, dass die documenta von Kassel nach Athen und wieder dorthin zurückführ­en musste.

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FOTO: DPA Adam Szymczyk

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