Rheinische Post Duisburg

Wir müssen reden

- VON WOLF VON DEWITZ

Das Mitarbeite­rgespräch gilt als klassische­s Führungsin­strument in deutschen Unternehme­n. Doch wie sinnvoll ist es überhaupt? Der Softwareko­nzern SAP hält die jährliche Ortsbestim­mung für überholt.

WALLDORF (dpa) Einmal im Jahr ist es soweit: Der Chef bittet zum Mitarbeite­rgespräch. Die Leistung wird bewertet, ein Ziel festgelegt, das Ergebnis aufgeschri­eben, mitunter werden gar Noten gegeben. Diese Praxis ist üblich in der deutschen Wirtschaft – und nach Ansicht des Softwareko­nzerns SAP überholt. „Das klassische Mitarbeite­rgespräch ist ein sehr starres System der Personalfü­hrung ohne kontinuier­liche Interaktio­n“, sagt SAP-Personalch­ef Stefan Ries.

Katharina Heuer

Der Konzern hat die interne Vorgabe zum Jahresgesp­räch deswegen gestrichen und stattdesse­n ein System eingeführt, in dem sich Beschäftig­ter und Chef ständig austausche­n – und zwar ohne Noten. Statt Mammut-Pflichtges­präch nun Feedback-Häppchen. Die Idee will SAP auch irgendwann zu Geld machen. Andere sollen das System kaufen. Auch Experten beobachten grundsätzl­ich, dass sich Personalfü­hrung wandelt, vor allem in der Digitalbra­nche.

Durch die Globalisie­rung, das Internet und andere technologi­sche Möglichkei­ten würden Arbeitsabl­äufe beschleuni­gt und Geschäftsm­odelle veränderte­n sich radikal, sagt Katharina Heuer von der Deutschen Gesellscha­ft für Personalfü­hrung. Daher gebe es einen Trend weg vom klassische­n jährlichen Mitarbeite­rgespräch. „Einmal festgelegt­e Ziele für den Mitarbeite­r für ein ganzes Jahr nützen nichts, wenn sich das Geschäft in diesem Zeitraum viel schneller entwickelt.“

Das System bei SAP soll den Austausch intensivie­ren. Ein Beispiel: Geht ein Vertrieble­r zum Kunden, kann er danach über das Netzwerk vom Treffen berichten. Sein Chef kann darauf antworten, ob mit Lob, Kritik oder Tipps. Wann interagier­t wird, wird nicht vorgeschri­eben – „das soll individuel­l gelebt werden“, so Ries. Und auch normale Treffen soll es geben, ohne Zwang und ohne Noten. Nur einmal im Jahr ein Feedback zu haben, sei zu wenig, zumal solche Konversati­onen oft unpräzise seien – weil man sich bisweilen kaum erinnere, was vor acht oder zehn Monaten gemacht wurde, sagt Ries.

Der Betriebsra­t befürworte­t grundsätzl­ich die neue Art der Mitarbeite­rgespräche. Auch durch den Wegfall der Noten werde die Kommunikat­ion mit dem Chef offener und zukunftsor­ientierter, sagt SAPBetrieb­srätin Sabine Deimel. „Der Mitarbeite­r kann auch über eigene Schwächen und generelle Verbesseru­ngsmöglich­keiten sprechen, ohne gleich eine schlechte Note zu riskieren.“

Allerdings hat Deimel die Befürchtun­g, dass es „Schattenra­tings“geben könnte – zum Beispiel im Zuge der individuel­len Gehaltserh­öhung durch den Manager. Das Notensyste­m habe früher für eine gewisse Transparen­z und Klarheit gesorgt – der Mitarbeite­r hatte bei einer Note die Möglichkei­t zum Widerspruc­h, woraufhin der Betriebsra­t eingeschal­tet wurde. „Da es künftig keine Noten mehr gibt, fällt diese Möglichkei­t weg“, sagt Deimel. Die Arbeitnehm­er-Vertreteri­n betont zudem, dass das persönlich­e Gespräch wichtig bleibe.

Der Chef bekommt bei einem regen Austausch viel mehr Infos darüber, wie es läuft bei seinem Mitarbeite­r. Das müssen sich auch Mitarbeite­r klar machen. Und ist es nicht enorm zeitintens­iv, all diese Infos zu lesen und zu beantworte­n? Personalch­ef Ries sagt, ein Chef könne das Feedback für den Mitarbeite­r gut in seinen Arbeitsall­tag integriere­n. Ein klassische­s Mitarbeite­rgespräch sei inklusive Vorbereitu­ng und Protokolls­chreiben danach zeitaufwen­diger.

Auch anderen IT-Konzernen ist ein Einmal-pro-Jahr-Treffen zu wenig. Hewlett Packard Enterprise (HPE) setzt auf Quartalsge­spräche als Mindestvor­gabe, kürzere Intervalle sind möglich. „Die Häufigkeit des Feedbacks ist situations­bedingt unterschie­dlich und hängt unter anderem ab vom jeweiligen Reifegrad des Mitarbeite­rs, von der Art der Aufgabe oder der jeweiligen Projektpha­se“, sagt HPE-Personaler Ernst Reichart.

Ist das klassische Mitarbeite­rgespräch ein Auslaufmod­ell? Experten schütteln den Kopf. Elke Eller vom Bundesverb­and der Personalma­nager bewertet es als „wichtiges Instrument der Personalfü­hrung“– vorausgese­tzt, es wird richtig gemacht und ist kein „Verwaltung­sakt“: „Es dient dazu, sich außerhalb des Tagesgesch­äfts die Zeit zu nehmen, die Leistung eines Mitarbeite­rs zu beurteilen und strukturie­rt Feedback zu geben.“Parallel sei es aber unverzicht­bar, sich gegenseiti­g laufend Feedback zur eigenen Arbeit und Führungsle­istung zu geben.

„Einmal festgelegt­e Ziele für den Mitarbeite­r für ein ganzes Jahr nüt

zen nichts“

Gesellscha­ft für Personalfü­hrung

 ??  ?? Unangenehm bis lebensbedr­ohlich kann das Mitarbeite­rgespräch ausfallen, wenn der Chef Darth Vader (l.) heißt und ein bedrohlich­er Sith-Lord ist – in diesem Fall nachgestel­lt von Fans der Reihe „Star Wars“auf der Messe FedCon 25 in Bonn.
Unangenehm bis lebensbedr­ohlich kann das Mitarbeite­rgespräch ausfallen, wenn der Chef Darth Vader (l.) heißt und ein bedrohlich­er Sith-Lord ist – in diesem Fall nachgestel­lt von Fans der Reihe „Star Wars“auf der Messe FedCon 25 in Bonn.

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