Rheinische Post Duisburg

Guten Gewissens gefeuert

- VON BEATE WYGLENDA

sich ein Mitarbeite­r seinem Chef, weil er Verwerflic­hes verlangt, hat das oft berufliche Nachteile zur Folge. Dabei sollten Unternehme­n ethisch Ungehorsam­e unterstütz­en. Denn sie sind es, die ihrer Arbeit loyal nachgehen.

Er ist Autoritäts­person, eventuell Mentor, für manche sogar Vorbild für die eigene Berufslauf­bahn. Wenn der Chef eine Anweisung gibt, kann er von seinen Mitarbeite­rn Gehorsam erwarten. Schließlic­h sind sie an die Weisungen ihres Vorgesetzt­en gebunden und haben ihm gegenüber eine arbeitsver­tragliche Loyalitäts­pflicht zu erfüllen. Doch was, wenn der Arbeitgebe­r etwas Unseriöses oder gar Illegales verlangt – beispielsw­eise Daten zu beschönige­n, um ein Produkt besser verkaufen zu können? Oft geraten Mitarbeite­r dadurch in ein moralische­s Dilemma. Das Gewissen verlangt, sich zu widersetze­n und den Missstand zu melden. Die Loyalität gegenüber dem Chef und die Angst vor Nachteilen im Job halten zurück. Für die Präsidenti­n des Ethikverba­nds der Deutschen Wirtschaft, Irina Kummert, ist in diesen Fällen der ethische Ungehorsam jedoch alternativ­los: „Geht es um Straftatbe­stände oder massive Missstände im Unternehme­n, dann besteht sogar eine Pflicht zum Ungehorsam“, sagt sie.

Frei nach dem Motto „mitgefange­n, mitgehange­n“ermittelt die Staatsanwa­ltschaft bei Gesetzesve­rstößen gegen alle Beteiligte­n, auch gegen die Mitarbeite­r. „Zwar wird der Anordnende in der Regel stärker zur Verantwort­ung gezogen, strafrecht­lich kann aber eben auch der ausführend­e Mitarbeite­r dran sein“, erklärt Philipp Byers, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht. Es scheint, als bliebe den Mitarbeite­rn, die über Missstände Bescheid wissen, die Wahl zwischen Pest und Cholera. Denn dass sich ethischer Ungehorsam gegenüber dem Chef negativ auf die Karriere auswirken kann, machte gerade erst der Rauswurf des FBI-Chefs James Comey deutlich.

Comey bewies mehrmals, dass er sich von Präsidente­n nicht einschücht­ern lässt: 2004 verlangte Georg W. Bush von dem stellvertr­etenden Justizmini­ster, ein Abhörprogr­amm zu genehmigen, das dieser für illegal hielt. Comey weigerte sich und drohte mit Rücktritt. Bush gab nach. Bei US-Präsident Donald Trump fand Comeys Pflichttre­ue hingegen wenig Gefallen. Bereits nachdem Comey Trumps Behauptung, Barack Obama hätte ihn bespitzelt, als unhaltbar abtat, war er Trump ein Dorn im Auge. Die Ermittlung­en wegen möglicher illegaler Verbindung­en von Trumps Wahlkampft­eam zum Kreml brachten den Präsidente­n endgültig gegen den FBI-Chef auf.

„Ungehorsam­e gefährden die Integrität der Gruppe, deren Mitglieder sich unmoralisc­h verhalten. Das löst Sanktionen aus, um die Gruppe zu schützen“, erklärt Organisati­ons- und Personalps­ychologe Bernd Marcus. „Dahinter mag in Wahrheit Selbstschu­tz des ,verratenen‘ Mitglieds stehen, dieses fühlt sich aber durchaus im Recht.“Mitarbeite­r, die sich dem Chef widersetze­n oder Missstände aufdecken, gelten im Betrieb selten als Helden. Es wird versucht, sie mundtot zu machen, im schlimmste­n Fall ihre gesamte Arbeit oder gar psychische Verfassung infrage zu stellen. Trump hat Comey nicht einfach entlassen, er versuchte ihn auch zu diskrediti­eren. Er bezeichnet­e ihn als „Wichtigtue­r“, beim Treffen mit dem russischen Außenminis­ter Sergej Lawrow als „verrückt“und „Spinner“. Das Ziel: „Den Hinweisgeb­er unglaubwür­dig machen“, so Kummert.

Auch der Steuerfahn­der Rudolf Schmenger und drei seiner Kollegen sollten so abqualifiz­iert werden. Jahrelang hatten sie im Finanzamt Frankfurt V erfolgreic­h gegen Banken ermittelt. Als den Fahndern 1999 jedoch eine CD mit Daten von Steuerhint­erziehern in die Hände fiel, die ihr Geld in Liechtenst­ein versteckt haben sollen, kam aus den Reihen der CDU-Regierung in Hessen die Ansage, den Fall nicht zu bearbeiten. Die Fahnder vermuteten eine Verbindung zur CDU-Schwarzgel­daffäre und gingen gegen die Anweisung an – vorerst intern. Daraufhin bekamen alle vier mittels psychologi­schen Gutachten eine „chronische paranoid querulator­ische Störung“attestiert – sie wurden

Irina Kummert versetzt oder zwangspens­ioniert, die Abteilung geschlosse­n.

Ist es also besser zu schweigen, wenn einem auffällt, dass der OP-Arzt ein Alkoholpro­blem hat oder der Banker seinen Kunden unseriöse Produkte verkauft? Nein. Auch Vorgesetzt­en darf es nicht gelingen, Verfehlung­en unter dem Mantel der Verschwieg­enheit zu vertuschen. „Manchmal sind die ethischen Prinzipien stärker als Loyalität und Angst vor Strafe“, sagt Marcus.

Zwar gibt es in Deutschlan­d noch immer kein Schutzgese­tz für Hinweisgeb­er. Der Fall der Altenpfleg­erin Brigitte Heinisch hat Arbeitnehm­er aber zumindest gestärkt. Heinisch hatte mehrfach intern den Personalma­ngel und den einhergehe­nden Pflegemang­el in ihrer Einrichtun­g kritisiert. Als sie nach zwei Jahren Strafanzei­ge erstattete, wurde sie fristlos entlassen. Erfolglos klagte sie durch alle nationalen Gerichtsin­stanzen, schließlic­h gab ihr der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte 2011 Recht. Wenige Monate nach der Entscheidu­ng nahm auch das Bundesarbe­itsgericht die Grundsätze in die deutsche Rechtsprec­hung auf. Sie sind ohne ausdrückli­ches Gesetz bindend. Auch Steuerfahn­der Schmenger und seine Kollegen sind inzwischen rehabiliti­ert. Der Psychiater wurde wegen vorsätzlic­her Falschbegu­tachtung verurteilt und musste in allen vier Fällen Schadenser­satz zahlen.

Ein Freifahrts­chein zum Chefanschw­ärzen ist die Regelung aber nicht. Die Experten raten, Missstände immer erst intern anzusprech­en. Wer nicht belegen kann, dass er – bevor er an die Öffentlich­keit ging – eine innerbetri­ebliche Lösung gesucht hat, dem droht weiterhin der Jobverlust. In vielen Unternehme­n gibt es inzwischen Hinweisgeb­erHotlines oder Vertrauens­personen wie Ombudsmänn­er. „Diese wissen, was zu tun ist, um möglichen Schaden von Kunden, Patienten, aber auch dem Unternehme­n abzuwenden“, sagt Kummert. Sich an den nächsthöhe­ren Vorgesetzt­en oder Betriebsra­t zu wenden, ist ebenso möglich. Es sollte im Interesse jedes Unternehme­ns liegen, potenziell­e Hinweisgeb­er zu unterstütz­en. Letztlich sind sie es, die loyal ihrer Arbeit nachgehen.

„Bei Straftatbe­ständen besteht eine Pflicht zum

Ungehorsam“

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