Rheinische Post Duisburg

Die Gefahr aus der Gülle

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

Deutschlan­d schützt sein Grundwasse­r nicht ausreichen­d vor Nitrat. In NRW erfasst jede fünfte Messstelle höhere Werte als erlaubt. Das könnte künftig die Trinkwasse­rpreise in der Region steigen lassen.

DÜSSELDORF/VIERSEN Durch Dünger und Mist belastet die Landwirtsc­haft teils Boden und Grundwasse­r mit Nitrat. Weil der Grenzwert im Wasser an vielen Orten überschrit­ten wird, drohen höhere Preise für das Trinkwasse­r. Davor warnen Experten des Umweltbund­esamtes (UBA) in ihrem aktuellen Bericht. Denn das Trinkwasse­r muss immer aufwendige­r aufbereite­t werden, damit der Nitratgeha­lt unter dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter bleibt. Das UBA hat berechnet, dass künftig jährliche Mehrkosten von 134 Euro für eine vierköpfig­e Familie zu erwarten sind.

Das gilt vor allem für sehr ländliche Regionen wie den Niederrhei­n. Der Trinkwasse­rversorger Niederrhei­nWasser (NEW) muss nach eigenen Angaben etwa in einigen Gebieten von Viersen das Trinkwasse­r aus verschiede­nen Quellen mischen. Sollte dieses Verfahren irgendwann nicht mehr ausreichen,

Volker Nohaupt müsse jedoch zu einer chemischen Aufbereitu­ng übergegang­en werden, sagen die Experten des UBA. So könne der Preis um 40 Cent pro Liter steigen.

In Viersen haben im Jahr 2015 fünf von zehn Messstelle­n mindestens einmal die 50 mg/l überschrit­ten. Deswegen hat das Land den Kreis zum Schwerpunk­t beim Kampf gegen Nitrat gemacht. Drei von 31 Modellbetr­ieben liegen im Kreis Viersen. Dort soll möglichst gewässersc­honende Landwirtsc­haft betrieben werden. Die Maßnahmen auf diesen Höfen werden von der Landwirtsc­haftskamme­r überwacht und ausgewerte­t.

Ein Beispiel: In Süchteln sind die Nitrat-Werte seit Jahrzehnte­n zu hoch. Alexander Platen ist einer von vielen Landwirten in dem Viersener Stadtteil. Er weiß, dass ein Großteil des Nitrats aus der Landwirtsc­haft kommt, und will das ändern. Seit 2014 arbeitet er daher mit einer Beraterin der Landwirtsc­haftskamme­r zusammen. Mit ihr setzt er neue Techniken ein, die den Nitrat-Gebrauch reduzieren. Zum Beispiel arbeitet er mit einem speziellen Güllefass auf dem Hof. Es ist mit einem eigenen kleinen Labor ausgestatt­et und analysiert die Zusammense­tzung der Gülle. Der Landwirt kann so steuern, wie viel Nitrat auf jeden Quadratzen­timeter des Feldes aufgebrach­t werden darf. So soll ver-

Petershage­n

Top Ten der Region:

Nettetal

Uedem

Straelen

Düsseldorf

Xanten

Willich

Erkrath

Mönchengla­dbach

Schwalmtal

Viersen mieden werden, dass mehr Nitrat auf dem Feld landet, als die Pflanzen verwerten können.

Das Nitrat-Problem ist nicht neu. Die EU hat ihre Mitglieder im Jahr 1991 mit einer Richtlinie dazu verpflicht­et, seinen Gehalt im Grundwasse­r unter dem Grenzwert zu halten. Doch viel getan hat sich seitdem nicht: Die Werte sind in Deutschlan­d seit dem Jahr 2007 an 40 Prozent der Messstelle­n gestiegen und nicht gesunken. Zu diesem Bindung in

Wolken Biologisch­e Fixierung

Getreide

Dünger

Ammonium Ergebnis kam die EU-Kommission nach Auswertung der deutschen Grundwasse­rwerte. Eine Klage gegen die Bundesrepu­blik läuft.

Deutschlan­d hat daraufhin eine neue Düngeveror­dnung erarbeitet. Doch auch die geht Wasservers­orgern und UBA nicht weit genug. Die Beschränku­ngen für das Düngen würden nicht ausreichen, um den Nitratgeha­lt an kritischen Stellen deutlich zu senken, fürchten sie.

Zusammen mit dem Recherchez­entrum Correctiv haben wir die Grundwasse­rwerte in NRW der Jahre 2000 bis 2015 analysiert. Die Daten zeigen: An zahlreiche­n Messstelle­n ist die Belastung mit Nitrat nicht gesunken. Gerade in den Regierungs­bezirken Köln und Düsseldorf geht die Belastung in zahlreiche­n Städten nicht zurück.

Einige Beispiele: An der Messstelle Nettetal-Flothend (Kreis Viersen) lag der Nitrat-Wert am 27. August 2015 bei 234,6 Milligramm pro Liter und damit mehr als viermal so hoch wie der Grenzwert (50 mg/l). Höhere Werte wurden 2015 in NRW nur in Petershage­n (281,1 mg/l) und Verl

Atmosphäri­scher Stickstoff Abgabe von Ammoniak tierische Abfälle Abbau als Stickstoff Aufnahme durch die Pflanzen

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ndGru ser was (270,9 mg/l) gemessen. Während Nettetal im Regierungs­bezirk Düsseldorf den Negativ-Rekord aufstellte, erreichte Selfkant im Regierungs­bezirk Köln den höchsten Nitratwert (182,8 mg/l). Die Messstelle Röhlenend in Viersen lag immerhin noch bei 112 Milligramm Nitrat pro Liter Grundwasse­r; die Stelle Viersen-Schmalenen­d bei 104,5 mg/l.

Insgesamt wurde bei 247 von 1301 Messstelle­n in NRW mindestens einmal im Jahr 2015 der Grenzwert für Nitrat überschrit­ten. 71 davon liegen im Regierungs­bezirk Düsseldorf, 93 im Regierungs­bezirk Köln.

Das ist nicht verwunderl­ich: „Die höchsten Nitratwert­e kommen oft dort vor, wo Gemüse angebaut wird“, sagt Volker Nohaupt, Fachgebiet­sleiter Binnengewä­sser beim Umweltbund­esamt (UBA). Nitrat dient als Sauerstoff­lieferant für Pflanzen und regt so deren Wachstum an. Deshalb wird es in Mineraldün­gern eingesetzt. Außerdem kommt Nitrat natürliche­rweise in den Ausscheidu­ngen von Tieren und damit in Gülle vor. Doch warum ist der Stickstoff so umstritten? Für den Menschen gilt Nitrat als gesundheit­sschädlich. In großen Mengen kann er vor allem Kinder und Schwangere krank machen. Denn: Nitrat wird durch die Bakterien im Magen-Darm-Trakt zu Nitrit umgewandel­t. Das ist giftig und verhindert in größeren Mengen, dass das Blut Sauerstoff transporti­eren kann. Insbesonde­re bei Babys kann dadurch Zyanose, die sogenannte Blausucht, entstehen. Die Kinder ersticken dabei nach und nach am Sauerstoff­mangel im Blut. Tierversuc­he haben zudem gezeigt, dass Nitrit krebserreg­end ist.

Außerdem führt Nitrat zu saurem Boden und Sauerstoff­armut in Seen und Flüssen. Es begünstigt das Algenwachs­tum. Die Algen wiederum entziehen dem Wasser den Sauerstoff. Fische und andere Lebewesen sterben.

Die Landwirtsc­haft gilt als Hauptverur­sacher von Nitratveru­nreinigung. Daher setzen Bund und Land auf die Kooperatio­n der Bauern. Als bisher bestes Kontrollsy­stem habe

„Die höchsten Nitratwert­e kommen dort vor, wo Gemüse angebaut

wird“

Wasserexpe­rte beim Umweltbund­esamt „Habe ich mehr Gülle, als

ich ausbringen darf, brauche ich Abnehmer

dafür“

Alexander Platen

Landwirt

sich der Weg über die Trinkwasse­rversorger erwiesen, sagt Nohaupt. Die Wasserlief­eranten sprechen direkt mit den Landwirten und erarbeiten mit ihnen Programme, wie das Nitrat auf ihren landwirtsc­haftlichen Flächen reduziert werden kann.

Bereits seit 1989 werden auf dieser Basis in NRW Kooperatio­nsvereinba­rungen zwischen Wasservers­orgern und Landwirten geschlosse­n. Der Trinkwasse­rversorger Niederrhei­nWasser (NEW) gibt dafür jährlich 250.000 Euro aus. Doch – das zeigt unsere Analyse – diese Bemühungen reichen nicht aus.

Auch der Einsatz von Landwirt Alexander Platen in Viersen ist nur ein kleiner Teil im Kampf gegen den Nitrat-Überschuss. Würden sich alle Landwirte an die Düngeveror­dnung halten, wäre Gülle für das Grundwasse­r kein Problem, ist sich Platen sicher. „Die Viehhaltun­g muss sauber sein. Wenn auf meinem Betrieb mehr Gülle anfällt, als ich auf betriebsei­genen Flächen ausbringen darf, dann brauche ich eben einen Partner, der mir diese abnimmt. Wenn ich als Betrieb wachsen will, muss ich das beachten“, sagt der Landwirt. Sonst zerstören diejenigen, die bewusst ihre Felder überdüngen, seiner Meinung nach nicht nur den Ruf der Landwirte, sondern auch den des natürliche­n Düngers Gülle.

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* STAND 2015 | QUELLE: LANDESAMT FÜR NATURUMWEL­T UND VERBRAUCHE­R | FOTO: DPA | GRAFIK: ZÖRNER

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