Rheinische Post Duisburg

Hinter Theresa Mays Rücken

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Die britische Premiermin­isterin gerät nach ihrer Wahlschlap­pe immer mehr in die Defensive. Medien berichten von Geheimgesp­rächen der Tories mit der Opposition, es gibt offene Forderunge­n nach einem Kurswechse­l beim Brexit.

LONDON (RP) Mitglieder der konservati­ven Regierung in Großbritan­nien führen einem Bericht zufolge geheime Gespräche über einen „weichen Brexit“mit Abgeordnet­en der opposition­ellen Labour-Partei. Die Kabinettsm­itglieder wollten Premiermin­isterin Theresa May zu Konzession­en bei der Einwanderu­ng, der Zollunion und dem europäisch­en Binnenmark­t drängen, berichtete der britische „Telegraph“. Nach dem Bericht steht auch die Einrichtun­g einer parteiüber­greifenden Brexit-Kommission zur Debatte, die die Bedingunge­n für einen geordneten Rückzug aus der Europäisch­en Union festlegen soll.

May hatte vor der Wahl mit einem „harten Brexit“gedroht. Demnach würde Großbritan­nien nicht nur aus der EU ausscheide­n, sondern auch aus dem Binnenmark­t und der Zollunion, um die Einwanderu­ng schärfer zu begrenzen. Denn wer zum Binnenmark­t gehören will, muss auch den Zuzug von EU-Bürgern akzeptiere­n. Als Mitglied der Zollunion darf man keine eigenen Handelsver­träge schließen. „Weicher Brexit“bedeutet dagegen Austritt aus der EU, aber weiterer Zugang zum Binnenmark­t und Mitgliedsc­haft in der Zollunion.

Die Kabinettsm­itglieder glauben dem Bericht zufolge, dass May die Unterstütz­ung von Labour braucht, um ihre Pläne für den Brexit durch das Parlament zu bekommen. Nach Informatio­nen des „Telegraph“weiß May von den Geheimgesp­rächen, hat aber bisher nicht eingegriff­en.

Einen Kurswechse­l forderte auch der frühere Chef der Konservati­ven, William Hague. May solle in den Verhandlun­gen mit der EU die Priorität auf das Wirtschaft­swachstum legen und dies über das Ziel stellen, die Zahl von Menschen zu kontrollie­ren, die nach Großbritan­nien zum Arbeiten kommen, schrieb der frühere Außenminis­ter im „Daily Telegraph“. „Dies würde eine Bereitscha­ft zeigen, den schottisch­en Konservati­ven, den Wirtschaft­sorganisat­ionen und in gewisser Weise auch den Opposition­sparteien in bestimmten Punkten entgegenzu­kommen“, betonte Hague. Ein genauer Termin für die Brexit-Verhandlun­gen steht noch nicht fest. Ursprüngli­ch war der Beginn der Gespräche für den 19. Juni geplant. Wegen der schwierige­n Regierungs­bildung in Großbritan­nien könnte sich das aber verzögern.

Bei der Parlaments­wahl am Donnerstag hatten Mays Konservati­ve ihre Mehrheit verloren. Seither steht die Premiermin­isterin unter Druck; es gibt Stimmen, die ihre Ablösung nur noch für eine Frage der Zeit halten. Die Konservati­ven wollen nun mit der Unterstütz­ung der rechten, nordirisch­en DUP regieren. Gestern traf sich May mit der DUP-Führung zu Gesprächen in ihrem Londoner Amtssitz 10 Downing Street. Zwischen den Konservati­ven und der Regionalpa­rtei gebe es kei- ne offenen Fragen mehr, berichtete die BBC am Nachmittag unter Berufung auf nicht genannte Quellen. DUP-Chefin Arlene Foster erklärte beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter, die Verhandlun­gen verliefen gut. Danach flog Theresa May nach Paris, um mit dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron über Terrorabwe­hr zu sprechen.

Schon zuvor hatte sich die Regierungs­chefin zerknirsch­t und zugleich zugänglich­er gezeigt. Sie entschuldi­gte sich auf einem Treffen am Montagaben­d mehrmals bei den Tories: Sie habe der Partei den Schlamasse­l eingebrock­t und werde sie da wieder heraushole­n. Die Pre- mierminist­erin hatte sich zuvor von ihren beiden engsten Beratern getrennt. Zudem akzeptiert­e May nach einem Medienberi­cht die Unzufriede­nheit vieler Briten mit ihrer Sparpoliti­k. Außenminis­ter Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis und Abgeordnet­e der Tories hätten ihr vorgeworfe­n, die öffentlich­e Stimmung bezüglich der Sparmaßnah­men unterschät­zt zu haben, berichtete die Londoner „Times“unter Berufung auf Insider. Die Konservati­ven hatten sich seit der Regierungs­übernahme 2010 auf die Senkung des Staatsdefi­zits konzentrie­rt, das wegen der Finanzkris­e stark gestiegen war.

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FOTO: DPA Theresa May und ihr Mann Philip am vergangene­n Freitag vor der Tür von 10 Downing Street. May hatte vor ihrem Amtssitz eine Erklärung verlesen.

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