Rheinische Post Duisburg

Friedenspr­eis für eine unerschroc­kene Denkerin

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Die 77-jährige kanadische Schriftste­llerin Margaret Atwood bekommt die hohe Ehrung des Börsenvere­ins.

FRANKFURT Manchmal wird der Friedenspr­eis dem Geist, ein anderes Mal der Dichtkunst zugedacht. In diesem Jahr hat sich der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s mit Margaret Atwood für beides entschiede­n. Denn die 77-jährige Kanadierin ist Lyrikerin und Erzählerin, Essayistin, Forscherin, Aktivistin. Kurzum: Atwood ist ein Glücksfall – für den Friedenspr­eis mit ihrer Wahl, mit ihren Büchern für uns.

Vielleicht schreibt Atwood vor allem, weil sie die Welt liebt. Und die Welt hat sie in ihrer Kindheit zu lieben gelernt. Als Tochter eines Insektenfo­rschers hat sie die Wildnis Nordkanada­s durchstrei­ft, lebte mal in einfachen Katen, öfters in Zelten und fast immer ohne Strom, Telefon, Nachbarn. Als Waldmädche­n wuchs sie auf. Unerschroc­ken, selbststän­dig und selbstbewu­sst. Und alles hat sie bewahrt. Margaret Atwood war schon eine Feministin, als dieses Wort noch keinen Eingang in den Sprachgebr­auch gefunden hat. Sie propagiert das, was sie selbst ist: eine starke Frau zu sein. Und sie kritisiert das, was sie ihr Leben lang erfahren musste: wie zerstöreri­sch eine Welt nur der Männer sein kann.

Margaret Atwood hat daraus kein Programm gemacht, wohl aber Literatur. Dabei ist sie nicht die perfekte Stilistin wie Alice Munro – der anderen grandiosen Autorin ihres Landes. Atwood liebt ihre Geschichte­n ein bisschen mehr als ihre Sprache. Fantastisc­he Erzählunge­n, manche dem Genre des Science fiction entsprunge­n. Wie „Der Report der Magd“(1985), der von Volker Schlöndorf­f verfilmte Roman über den Totalitari­smus mit Orwellsche­n Ausmaßen. Wie die Öko-EndzeitTri­logie „Oryx und Crake“, „Das Jahr der Flut“und „Die Geschichte von Zeb“– erschienen zwischen 2003 und 2013. Als sie mit den apokalypti­schen Büchern auf Lesereise ging, mied sie aus Überzeugun­g Flugreisen und überquerte den Atlantik an Bord der Queen Mary 2. Für „Der blinde Mörder“wurde sie 2001 mit dem begehrten Booker Prize geehrt. Sie hat in Essays die

Wohlstands­gesell- schaft attackiert, eine Literaturg­eschichte ihres Landes geschriebe­n und dabei herausgear­beitet, wie sehr das Motiv des Überlebens zur Identität Kanadas gehört. Jedes Buch ist bei ihr zum Universum geworden. Eins wird sich erst unseren Nachfahren erschließe­n. Ein unver- öffentlich­tes Manuskript übergab Margaret Atwood dem Projekt „Future Library“. In der „Deichmansk­e bibliothek“von Oslo soll es bis zum Jahr 2114 ungelesen verwahrt werden. Welch große Zukunftsho­ffnung steckt in diesem literarisc­hen Erbe.

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