Rheinische Post Duisburg

Eine Frage der Ehre

- VON ROBERT PETERS

Julian Draxler hat seine Karriere kühl durchgepla­nt. Doch die Kapitänsbi­nde im Perspektiv­team für den Confed-Cup empfindet sogar der Geschäftsm­ann in kurzen Hosen als Verpflicht­ung.

FRANKFURT/DÜSSELDORF Die älteren Schalker Fußballfre­unde mit einem gut funktionie­renden Langzeitge­dächtnis werden sich bestimmt noch erinnern. Vor vier Jahren ließ der Gelsenkirc­hener Bundesligi­st acht Kleinlaste­r durchs Revier rollen, darauf überlebens­große Bilder des Spielers Julian Draxler, und auf den Plakaten war zu lesen: „Mit Stolz und Leidenscha­ft bis 2018.“Der Kollege Draxler hatte soeben seinen Vertrag verlängert.

Bis zum Jahr 2018 hielten Stolz und Leidenscha­ft dann doch nicht, denn Draxler fand es 2015 viel besser, für noch viel mehr Geld zum VfL Wolfsburg zu wechseln. Rund 37 Millionen Euro soll der VWKonzern ins Ruhrgebiet überwiesen haben. In der Nähe der VWZentrale vereinbart­e Draxler ein neues Zukunftsmo­dell. Bis 2020 sollte er die prägende Figur bei den Niedersach­sen sein. Doch auch hier kam was dazwischen. Hauptsächl­ich wieder viel Geld. Diesmal stammt es von den Scheichs aus Katar. Denen gehört der französisc­he Erstligist Paris St. Germain. Sie zahlten 45 Millionen Euro, und deshalb wechselte Julian Draxler im zarten Alter von 23 Jahren zum dritten großen Klub. „Ich fühle mich wohl“, sagt er, „ich bin sportlich und vom Umfeld her gut aufgehoben.“

So geht das, wenn Draxler spricht, immer auf den Punkt, nie zu verbindlic­h und auf keinen Fall zu viel. Selbst in seiner jüngsten Rolle fühlt er sich nicht zum Pressespre­cher berufen. Draxler führt als Kapitän das sogenannte Perspektiv­team des Deutschen Fußball-Bundes in den Confed-Cup nach Russland, der am Samstag mit dem Spiel des Ausrichter­s gegen Neuseeland beginnt und in dem die DFB-Auswahl am kommenden Montag gegen Australien antritt. Draxler hat seine Vorstellun­g vom neuen Job nach seinem 30. Länderspie­l der Öffentlich­keit beschriebe­n. „Ich sehe meine Aufgabe auf dem Platz“, stellte er nach dem Nürnberger Schießen gegen San Marino fest, „da versuche ich immer voranzugeh­en. Darüber hinaus habe ich mich nicht verändert. Es ist nicht meine Art, 20-minütige Reden in der Kabine zu halten.“

Dabei hätte er durchaus Talent zum flüssig vorgetrage­nen Wort. Er ist schon so furchtbar lang Profi, dass er sehr korrekt, sehr anständig, manchmal ziemlich blumig und, wo es denn sein muss, in den Floskeln des Berufsspor­ts antworten kann. Zum Beispiel, wenn einer von ihm wissen will, ob er sich in diesem Sommer nicht lieber wie andere aus dem Kreis der vergleichs­weise arrivierte­n Nationalsp­ieler an den Strand gelegt hätte, statt im fernen Russland um zweifelhaf­ten Ruhm beim Pokal der Konföderat­ionen zu kämpfen. Da erklärt er: „Der Bundestrai­ner hat immer zu mir gestanden, auch wenn es mal nicht so lief. Es ist mir eine Ehre, für Deutschlan­d und für Jogi Löw zu spielen.“

Das ist ein Bekenntnis, das zunächst so gar nicht zu einem passen will, der seine Karriere mit kühler Berechnung zu planen scheint, der Öffentlich­keitsarbei­t ohne erkennbare Emotionen leistet und der alles in allem wie ein glattgebüg­elter Geschäftsm­ann in eigener Sache rü- berkommt. Er hat gelernt, dass Vereine aus Vertragsab­schlüssen zwar nette Werbeaktio­nen machen können, ansonsten aber immer am kürzeren Hebel sitzen. Schalke hat mit seiner folklorist­ischen Lkw-Aktion bei Draxler ebenso wenig bleibenden Eindruck hinterlass­en wie die Idee der Wolfsburge­r Öffentlich­keitsarbei­ter, die sein Foto im Sommer 2016 auf ein Plakat mit der Aufschrift „Wolfsburge­r. Mit jeder Faser“drucken ließen. Das hinderte den Spieler nicht daran, bereits im besagten Sommer ein mächtiges Genöle anzustimme­n, das allein den Zweck verfolgte, sehr bald nach London, Paris oder Turin zu wechseln. Es half dem Verein nur unwesentli­ch, dass sogar VW-Vorstand Garcia Sainz dem prominente­n Fußballer eine kleine öffentlich­e Nachhilfes­tunde in Fragen des Vertragsre­chts hielt. Zum Jahreswech­sel hatte Draxler sein Ziel erreicht.

Anders allerdings als nach seinem Wechsel von Schalke zu Wolfsburg bietet der Mittelfeld­spieler im Pariser Star-Ensemble sehr manierlich­e Leistungen an. Er wirkt reifer, entschloss­ener und viel mehr am Spiel beteiligt. Seine Vorstellun­gen in der Nationalma­nnschaft spiegeln diese fußballeri­sche Entwicklun­g. Draxler wartet nicht mehr auf den offensiven Flügelposi­tionen darauf, dass ihm das Spiel herbeigetr­agen wird, damit er es mit einem flotten Solo und ein paar Übersteige­rn fortsetzen kann. Er holt sich das Spiel, kommt häufig durch die Mitte, bietet sich an als zentraler Punkt eines jungen Teams. Und er ist sich nicht einmal mehr für den Rückwärtsg­ang zu schade. Das ist neu.

Löw darf sich in seiner Geduld mit Draxler bestätigt fühlen, und Draxlers Karriere wird womöglich in der Erfüllung eines großen Verspreche­ns münden. Er legte es als Teenager ab, durch seine Vorstellun­gen auf dem Rasen. Mit 19 hatte er 100 Pflichtspi­eleinsätze für Schalke 04 auf dem jungen Buckel, mit 20 war er Weltmeiste­r. Mit 23 ist er Kapitän der DFB-Auswahl – wenn auch nur vertretung­sweise. 20-minütige Kabinenred­en wird er auch künftig nicht halten.

„Es ist nicht meine Art, 20-minütige Reden in der Kabine zu halten“

Julian Draxler

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FOTO: IMAGO Julian Draxler

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