Satter Vorsprung, und dann geht nichts mehr
24 Stunden von Le Mans: André Lotterer hat seinen vierten Sieg auf der legendären Rennstrecke vor Augen als die Technik streikt.
MOTORSPORT Die 24 Stunden von Le Mans – ein Spektakel, das wie der Grand Prix von Monte Carlo oder die Indy 500 im Motodrom von Indianapolis zu den Legenden des Motorsports gehört. Der gebürtige Duisburger André Lotterer hätte sich gestern beinahe zum vierten Mal in die Siegerliste des 1923 erstmals ausgetragenen Rennens eingetragen. Aber eben nur beinahe.
„Le Mans kann so grausam sein“, konstatierte der 35-Jährige, den Sieg auf der traditionsreichen 13,629-Kilometer-Strecke im Nordwesten Frankreichs vor Augen, bitter enttäuscht. Nur 3:36 Stunden vor dem Ende des Rennens blieb sein Porsche Hybrid 919 stehen – das Aus. Ausgerechnet mit dem 35-Jährigen am Steuer. Aber ohne eigenes Verschulden: Es war ein technisches Problem, das der Dramaturgie der 85. Le-Mans-Ausgabe mit zahlreichen Favoritenausfällen die aus Duisburger Sicht negative Krone aufsetzte.
Sieger mit 367 Runden wurde Timo Bernhard aus Homburg/Saar gemeinsam mit den beiden Neuseeländern Earl Bamber und Brendon Hartley in einem weiteren Porsche – an diesem verrückten Le-Mans-Wochenende war das triumphierende Trio ebenfalls nach einem Defekt zwischenzeitlich auf Rang 55 zurückgefallen.
Lotterer hatte um 10.53 Uhr am Sonntagvormittag den Engländer Nick Tandy im Cockpit abgelöst, der dritte Einsatz des Deutschen seit dem Start am Samstagnachmittag. 18 Minuten später nimmt das Drama für den einsamen Spitzenreiter seinen Lauf: Die 1,05 Meter niedrige Porsche-Flunder wird in der engen 90-Grad-Kehre Tertre Rouge, in der die Wagen in die Hunaudières einbiegen, jene sechs Kilometer lange, schnurgerade und nur durch zwei Schikanen unterbrochene Landstraße, die nur während der 24 Stunden zur Rennstrecke wird, urplötzlich langsam. „Kein Öldruck mehr“, funkt Lotterer entsetzt an die Box und sagt später: „Plötzlich ging nichts mehr.“
Schafft es die Startnummer 1 noch bis zur Box? 13 quälende Minuten später ist klar: Nein. Alle Tipps über Funk, wie André Lotterer den Wagen noch einmal starten kann, helfen nichts. Auch das Anschieben der tüchtigen Streckenposten bringt den bis zu 900 PS starken Boliden nicht mehr auf den Asphalt zurück.
Lotterers Teamkollegen Tandy und der Schweizer Neel Jani schlugen fassungslos die Hände vors Gesicht. Zwölf Runden betrug der Vorsprung; nur noch den Wagen ins Ziel bringen hätte Porsche müssen. „Das ist hart für die Fahrer und alle Teammitglieder“, konstatierte Teamchef Andreas Seidl geknickt. Ein Jahr zuvor hatte Toyota gar erst 90 Sekunden vor der Zielflagge durch einen technischen Defekt den Sieg noch an Porsche verloren.
Lotterer zeigte sich am Sonntag schon bald wieder angriffslustig. „Im vergangenen Jahr hat es Toyota getroffen. In diesem Jahr uns. Es ist natürlich sehr schade. Aber das ist die Herausforderung, der wir uns stellen!“
Natürlich bleibt Lotterer, der während der 24 Stunden mit 90 Minuten Schlaf auskommt, der Trost, Le Mans 2011, 2012 und 2014 gemeinsam mit dem Schweizer Marcel Fässler und dem Franzosen Benoît Tréluyer für Audi schon dreimal gewonnen zu haben. Nach dem Audi-Rückzug wechselte Lotterer zu dieser Saison dann ins PorscheTeam.
2012 hatte er, ebenfalls noch mit Audi, den Weltmeistertitel in der Langstrecken-WM für Prototypen gesichert, zu denen auch die 24 Stunden von Le Mans gehören. Die „Revanche“gibt es traditionell in vier Wochen am Nürburgring: das ebenfalls zur WM gehörende SechsStunden-Rennen in der Eifel startet am Sonntag, 16. Juli – im „Heimspiel“dann hoffentlich wieder mit mehr Glück für André Lotterer.