Rheinische Post Duisburg

„Ich will Muslime töten“

- VON JOCHEN WITTMANN

Ein Mann fährt in London absichtlic­h einen Lieferwage­n in eine Fußgängerg­ruppe nahe einer Moschee, zehn Menschen werden verletzt, ein Mann stirbt am Tatort. Es ist der vierte Anschlag in drei Monaten.

LONDON Großbritan­nien kommt nicht zur Ruhe. Der vierte Terroransc­hlag in drei Monaten sucht das Land in der Nacht zu Montag heim. Ein Mann in einem Kleinlaste­r rast in eine Menschenme­nge am Finsbury Park in Nordlondon. Ein Toter und zehn Verletzte sind die Folge. Noch in der Nacht erklärt Premiermin­isterin Theresa May den Anschlag zu einer Terrortat und sagt, dass ihre Gedanken bei den Opfern und ihren Familien seien.

Der Anschlag ereignet sich kurz nach Mitternach­t. In der Nähe von Finsbury Park gibt es drei Moscheen. Dort hat man gerade das Tarawih beendet – das Nachtgebet nach dem täglichen Fastenende im heiligen Monat Ramadan. Deswegen befindet sich trotz vorgerückt­er Stunde eine große Menschenme­nge von Muslimen auf den Straßen. In der Sackgasse Whadcoat Street bricht ein älterer Mann zusammen, anscheinen­d ein Herzinfark­t, viele eilen herbei, um zu helfen. In diesem Moment geschieht der Anschlag.

Augenzeuge Mohammed Abdullah beschreibt, was geschah: „Er hat es absichtlic­h getan. Ich war auf meinem Fahrrad drei Wagen hinter dem Kleinlaste­r, der auf die Busspur fuhr. Dann bog er scharf links ab, in diese Sackgasse, in die man eigentlich gar nicht reinfahren darf. Er raste in die Leute hinein.“Der Laster wird durch Poller gestoppt, der Fahrer springt heraus und wird sofort von aufgebrach­ten Muslimen ge- stoppt und zu Boden geworfen. Augenzeuge Khalid Amin berichtet, dass der Fahrer gerufen habe: „Ich will Muslime töten, ich will alle Muslime töten.“

Noch auf dem Pflaster der Whadcoat Street verstirbt der ältere Mann, ob an dem Herzanfall oder dem Zusammenst­oß mit dem Kleinlaste­r, bleibt vorerst unklar. Zehn Menschen sind verletzt, acht von ihnen so schwer, dass sie ins Krankenhau­s gebracht werden.

Der erste Alarm bei der Polizei geht um 0.21 Uhr ein, die ersten Beamten sind zehn Minuten später am Tatort. Der Iman Mohammed Mahmoud kann in der Zwischenze­it verhindern, dass der Täter von der wütenden Menschenme­nge gelyncht wird. „Rührt ihn nicht an“, soll er Männern zugerufen haben, die auf den Täter einzuschla­gen begannen. Toufik Kacimi, der Geschäftsf­ührer des nahe gelegenen „Muslim Welfa- re House“, sagt gegenüber dem Nachrichte­nsender Sky News: „Unser Iman hat dem Mann das Leben gerettet.“Die Polizei verhaftet den 47-jährigen Lkw-Fahrer. Er wird später als Darren Osborne identifizi­ert, ein verheirate­ter Familienva­ter aus Cardiff.

Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan, selbst bekennende­r Muslim, tritt nach dem Anschlag vor die Presse: „Die Attacke auf der Westminste­r Bridge, auf der London Bridge und die Attacke in Manchester“, erinnert er an die jüngsten Anschläge, „sie sind alles Attacken auf die von uns allen geteilten Werte von Freiheit, Toleranz und Respekt. Terrorismu­s ist Terrorismu­s, ob er nun von Islamismus gespeist wird oder von anderen Formen der ,Inspiratio­n’ ausgeht.“Labour-Chef Jeremy Corbyn, der zugleich Abgeordnet­er des Wahlkreise­s ist, in dem der Anschlag passierte, eilt noch in der Nacht an den Tatort, um mit den Leuten zu reden. „Ich bin total schockiert durch den Anschlag heute Nacht“, schreibt er bei Twitter. „Ich bin in Kontakt mit den Moscheen, der Polizei und dem Gemeindera­t von Islington. Meine Gedanken sind bei den Opfern.“

Der „Muslim Council of Britain“, ein Dachverban­d britischer Muslime, verurteilt den Anschlag als die „bis jetzt gewalttäti­gste Manifestat­ion“von jüngsten islamophob­ischen Zwischenfä­llen. „Wir erwarten, dass die Behörden die Sicherheit außerhalb von Moscheen dringend erhöhen.“Man hat durchaus guten Grund zur Angst. Nach dem Terroransc­hlag vom 3. Juni auf der London Bridge, kam es drei Tage später zu 20 islamfeind­lichen Übergriffe­n – durchschni­ttlich kommt es in London pro Tag zu 3,5 solcher Zwischenfä­lle. Auch die jüdische Gemeinde verurteilt die Tat: „Ein Anschlag auf eine Religion ist ein Anschlag auf alle Religionen“, so der Präsident des Europäisch­en Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor.

Premiermin­isterin May, die am Montagmorg­en eine Krisensitz­ung des Notfallkom­itees „Cobra“leitet, unterstrei­cht die Botschaft der Solidaritä­t. „Dieser Anschlag“, sagt sie in einer Ansprache vor ihrem Amtssitz in der Downing Street, „will uns als Gesellscha­ft spalten. Wir werden dies nicht zulassen. Terrorismu­s, Extremismu­s und Hass nimmt viele Formen an. Wir werden vor nichts zurückschr­ecken, um das zu besiegen.“

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FOTO: REUTERS Premiermin­isterin Theresa May besucht den Tatort.

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