Rheinische Post Duisburg

Genug Wohnungen, nur am falschen Ort

- VON TANJA KARRASCH

In der Stadt herrscht Wohnungsno­t, auf dem Land stehen Häuser leer. Trotzdem werden in ländlichen Regionen immer weiter Eigenheime gebaut – am Bedarf vorbei. In Düsseldorf ist der Baubedarf hingegen nur zu 55 Prozent gedeckt.

DÜSSELDORF In Deutschlan­d wird viel gebaut. Jedoch zu viel am falschen Ort. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), in der die Bautätigke­it zwischen 2011 und 2015 analysiert worden ist. Ergebnis: Während in der Stadt die Mietpreise in die Höhe gehen und die Suche nach Wohnraum immer mühseliger wird, verwirklic­hen außerhalb der Ballungsze­ntren immer mehr Menschen den Traum vom Eigenheim. Dabei stehen laut einer Schätzung des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadtund Raumforsch­ung auf dem Land bereits knapp eine Million Wohnungen leer. „Wir stellen mit Schrecken fest, dass in ländlichen Regionen immer noch sehr viele Einfamilie­nhäuser gebaut werden“, so der IW-Immobilien­experte Michael Voigtlände­r. Das Gebrauchth­aus ist offensicht­lich nicht besonders beliebt. „Viele Familien bauen lieber etwas Neues“, sagt Voigtlände­r.

Gründe für zu viele Immobilien auf dem Land sind laut IW unter anderem die Niedrigzin­sen, die den Kauf oder Bau einer Immobilie günstig machen. Hinzu komme, dass in ländlichen Räumen im Gegensatz zu den Großstädte­n Bauland reichlich vorhanden sei. Für die ländlichen Regionen und die Eigentümer dort wird diese Entwicklun­g jedoch vermutlich negative Folgen haben: Experten befürchten Zersiedelu­ng, weitere Leerstände und Preisverfa­ll.

Ein Extrembeis­piel ist der nordhessis­chen Landkreis WaldeckFra­nkenberg nördlich von Marburg. Dort wären nach IW-Einschätzu­ng lediglich sieben neue Wohnungen notwendig gewesen. Gebaut wurden zwischen 2011 und 2015 jedoch fast 200, was 2764 Prozent des Baubedarfs entspricht. Auch in Nordrhein-Westfalen geht die Bautätigke­it am Bedarf vorbei. Im Oberbergis­chen Kreis etwa sind der Studie zufolge statt 163 benötigter Immobilien 336 gebaut worden. In Heinsberg wurden 1046 gebaut, das entspricht 173 Prozent des Bedarfs, der auf Basis der Bevölkerun­gsentwickl­ung und bereits bestehende­r Leerstände ermittelt wurde. Im Kreis Lippe im Nordosten von NRW wur- den statt 118 benötigter Wohneinhei­ten 620 gebaut. Das entspricht 525 Prozent des Bedarfs.

Für Eigentümer könnte es in Zukunft schwer werden, ihre Häuser zu verkaufen. „Da die Bevölkerun­g schwindet, fällt die Nachfrage langfristi­g weg. Das wirkt sich natürlich auf die Preisentwi­cklung aus“, sagt Voigtlände­r. Bürgermeis­ter versuchten jedoch, durch großzügige Ausweisung von Bauland neue Einwohner anzuziehen, heißt es. Könn- te man die Wohnungen in Deutschlan­d umverteile­n, gäbe es kein Problem. Stephan Kippes vom Immobilien­verband Deutschlan­d Süd: „In der Summe hätten wir eigentlich genug Wohnraum in Deutschlan­d – wenn er an der richtigen Stelle wäre.“In Berlin sind laut Studie in den vergangene­n Jahren nur 40 Prozent der eigentlich benötigten Wohnungen gebaut worden, in Duisburg 49 und in Köln 58 Prozent. In Düsseldorf wurden 1266 Wohnungen gebaut. Um den Bedarf zu decken, wären jedoch 2286 Neubauten notwendig gewesen. Damit werden in der Landeshaup­tstadt nur 55 Prozent des Baubedarfs gedeckt.

Der Spitzenver­band für Wohnungswi­rtschaft GdW hält bundesweit mindestens 400.000 neue Wohnungen pro Jahr für notwendig. In den ersten vier Monaten des Jahres gab es jedoch nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts eine Flaute bei den Genehmigun­gen neuer Wohnungen. Mit 106.500 Einheiten lag der Wert bis Ende April neun Prozent unter dem aus 2016. Vor allem für Einfamilie­nhäuser gab es deutlich weniger Genehmigun­gen. Seit 2012 war deren Zahl gestiegen und hatte 2016 mit 375.400 Einheiten den höchsten Wert seit 1999 erreicht.

Das IW empiehlt Kommunen mit ausufernde­r Bautätigke­it, keine neuen Bauflächen auszuweise­n, den Abriss von alten Häusern zur Bedingung von Neubauten zu machen und die Ortskerne attraktive­r zu gestalten. Sonst drohen verödende Dorfzentre­n, Leerstand, Zersiedelu­ng. Das ließe die Attraktivi­tät der Kommunen weiter sinken und das bereits bestehende Problem würde somit weiter befeuert.

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