Rheinische Post Duisburg

Richters Ironie der frühen Jahre

- VON BERTRAM MÜLLER

Das Kunstmuseu­m Bonn zeigt 25 frühe Bilder von Gerhard Richter. Man sollte ihre Leichtigke­it unvoreinge­nommen genießen.

BONN „Zwei Fiat“heißt ein schwarzwei­ßes Bild, das der mittlerwei­le 85jährige Gerhard Richter 1964 malte. Wie auf einer Fotografie rasen zwei durch Bewegungsu­nschärfe verzerrte Limousinen auf einer Landstraße aneinander vorbei. Immerhin erkennbar sind der Mittelstre­ifen, Bäume im Hintergrun­d und ein Leitpfoste­n am Straßenran­d. Das Bild befindet sich mit anderen frühen Werken in einer Ausstellun­g des Kunstmuseu­ms Bonn und wird dort

Gerhard Richter balanciert­e damals auf

dem Grat zwischen Gegenständ­lichkeit und

Abstraktio­n

wieder jene Interprete­n auf den Plan rufen, die ihre Richter-Lektionen gelernt haben.

Unter den großen Künstlern der Gegenwart gilt Richter ja seit langem als Maler für die Intellektu­ellen. Die zitieren gern Platons Höhlenglei­chnis, um zu sagen: Wie dort der Mensch die Wirklichke­it lediglich als Schatten wahrnimmt, so drücken auch Richters unscharfe Bilder den Zweifel daran aus, dass es uns jemals gelingen könnte, die Realität als solche zu erblicken.

Doch Malerei ist, selbst wenn sie als Konzeptkun­st daherkommt, nicht Philosophi­e. Und wer Richters Bilder und Objekte immer nur durch die Brille des Theoretike­rs betrachtet, der übersieht, was außer Platon und Kants „Kritik der reinen Vernunft“sonst noch in ihnen steckt. Zum Beispiel die Ironie, dass der Maler Allerwelts­autos wie die der Marke Fiat wie Rennwagen inszeniert – sicherlich ein Seitenhieb auf die Werbung, mit deren Eskapaden sich Richter damals auseinande­rsetzte. Überhaupt war er ein eifriger Zeitungssc­hnippler, der gerasterte Fotos samt Bildunters­chriften ebenso ausschnitt wie kuriose Überschrif­ten und sie bei passender Gelegenhei­t in seinen Kunstkosmo­s verschob.

Gerhard Richter war damals noch nicht der Maler farbiger Rakelbilde­r, in denen er unter der Oberfläche liegende Farbschich­ten freilegte, sondern einer, der auf dem Grat zwischen Gegenständ­lichkeit und Abstraktio­n balanciert­e. Fenster gehen bei ihm in geometrisc­he Muster über, Schlieren, Röhren und Wellblech wirken wie Vorhänge, die Einblick verwehren. Ein öder, aus Flächen zusammenge­setzter „Korridor“von 1964 wirft unweigerli­ch die Frage auf, was sich hinter den Türen verbirgt, ebenso das zentrale Bild der Bonner Ausstellun­g aus dem Kölner Museum Ludwig: „5 Türen (I)“von 1967. Die Türen, ein fünf Meter messendes Breitforma­t, sind teils halb, teils nur einen Schlitz weit geöffnet und sprechen Betrachter weniger durch erkenntnis­theoretisc­hen Tiefsinn als durch Magie an.

Wohin man auch schaut, überall stellt uns Richter vor Geheimniss­e. Selbstvers­tändlich lässt sich für alles eine kluge Erklärung finden: Die „4 Glasscheib­en“, unterschie­dlich gekippt im Raum stehend, mögen als Fenster wiederum das Thema Wahrnehmun­g verkörpern, und ein riesiger Spiegel wirft das Bild des Betrachter­s mitsamt den Fragen, die ihm auf der Zunge liegen, auf ihn selbst zurück. Doch in erster Linie sind Richters Werke Bild-Setzungen: Objekte, dem Menschen Entgegenge­worfenes, das die Sinnlichke­it anspricht und dann erst den Verstand. Das „Porträt Dieter Kreutz“, die unscharfen, bräunliche­n Konturen eines Mannes vor einem un- scharfen blau-weißen Horizont, ist nicht nur ein zum Bild geronnener Zweifel, sondern vor allem ein Stück großartige­r Malerei.

Auch sonst stößt man in der Ausstellun­g auf Kompositio­nen mit verhaltene­m Farbenspie­l: grünliche Schlieren, aber auch ein mehr als vier Meter breites Bild, das die Farbe zum Thema macht: „256 Farben“von 1974, eine jener Tafeln, auf die Richter beim Entwurf seines Fensters für den Kölner Dom zurückgrif­f. Angeblich legte das Zufallspro­gramm eines Computers die Zusammenst­ellung der Farbrechte­cke fest, so schilderte es Richter uns vor Jahren. An anderer Stelle gestand er, dass er dem Zufall auf die Sprünge

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