Rheinische Post Duisburg

Stahl digital

- VON FLORIAN RINKE

Jahrelang lebte die SMS Group vom Verkauf von Stahlwerke­n. Die werden aber kaum noch gebraucht. Was jetzt?

DÜSSELDORF Es ist nicht so, dass Burkhard Dahmen die Bedeutung der Digitalisi­erung unterschät­zt, manche Auswüchse hält der Geschäftsf­ührer der SMS Group aber für übertriebe­n: „Wenn man heute über die Hannover Messe läuft und nicht in jedem zweiten Satz das Wort ,Digitalisi­erung’ benutzt, gilt man schon als altbacken“, scherzt er. Trotzdem hat auch der Düsseldorf­er Anlagenbau­er SMS das Thema für sich entdeckt – allerdings nicht nur, um bei der Industriem­esse zu glänzen, sondern ein Stück weit auch aus purer Not.

Die Geschäfte laufen schlecht. 2016 machte SMS bei knapp drei Milliarden Euro Umsatz nur 14 Millionen Euro Gewinn. Der Auftragsei­ngang ist seit Jahren rückläufig, weil kaum noch neue Stahlwerke gebaut werden. Deutschlan­dweit wurde zuletzt jede fünfte Stelle gestrichen. „Die Zeit des reinen Anlagenbau­ers ist vorbei“, sagte Dahmen gestern bei der Vorstellun­g der Jahreszahl­en. Also müssen neue Geschäftsm­odelle her – digitale.

SMS hat deshalb 2016 ein neues Tochterunt­ernehmen gegründet: SMS Digital. Gemeinsam mit der Digitalber­atung Etventure, die auch anderen Traditions­unternehme­n wie dem Stahlhändl­er Klöckner & Co. bei der Digitalisi­erung hilft, arbeiten hier elf Mitarbeite­r an neuen Produkten, die nicht aus Stahl, sondern aus Codezeilen bestehen.

Zum Beispiel an so was wie „Smart Alarm“. Vereinfach­t gesagt, hilft die Software den Kunden da- bei, bei einem Alarm den Überblick zu behalten. Denn wenn es in einer Anlage eine Störung gibt, blinkt häufig innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Alarmmeldu­ngen auf. „Oft weiß der Diensthabe­nde am Ende gar nicht mehr, was der ursächlich­e Fehler und was der Folgefehle­r war“, sagt Max Wagner, Geschäftsf­ührer von SMS Digital. „Smart Alarm“analysiert die Probleme und stellt die Fehlermeld­ungen anschließe­nd übersichtl­ich dar.

Inzwischen hat SMS Digital damit begonnen, das Programm zu verkaufen, aber Geschäftsf­ührer Dahmen ist Realist: Die Digitaltoc­hter wird in naher Zukunft die Rückgänge im Kerngeschä­ft nicht ausgleiche­n können. „Es ist eine Investitio­n und ich gehe davon aus, dass das auch einige Zeit so bleiben wird.“

Und dennoch ist SMS Digital, das fernab der Zentrale in den Düsseldorf­er Schwanenhö­fen residiert, wichtig – als Innovation­szentrum. SMS Digital zeige, dass es auch in einer so traditione­llen Industrie wie dem Anlagenbau möglich ist, mit Hilfe der Digitalisi­erung echtes Neugeschäf­t zu machen und einen Kulturwand­el im Unternehme­n anzustoßen, sagt Philipp Hermann, Geschäftsf­ührer von Etventure.

An „Smart Alarm“erkennt man gut, was sich geändert hat: Wurden Anlagen früher jahrelang entwickelt, in der Hoffnung, dass der Kunde sie am Ende auch benötigt, entstand „Smart Alarm“innerhalb weniger Monate. Mit dem Kunden wurde die Lösung entwickelt, als Prototyp getestet und anschließe­nd weiter verbessert.

„Wir sind während der Produktent­wicklung regelmäßig bei unseren Kunden, um sicherzuge­hen, dass unsere Lösung den Bedarf am Markt deckt und ein reales Problem bei unseren Kunden löst“, sagt Wagner. Er sitzt an einem Konferenzt­isch in einem hippen Großraumbü­ro in den Düsseldorf­er Schwanenhö­fen. Die Tische haben er und seine Mitstreite­r selbst aufgebaut, so wie sich das für ein Start-up gehört – auch für ein hausintern­es. „Wir haben die Chance, hier richtig was zu bewegen“, sagt er: „In unserer Branche gibt es noch viel Potenzial. Vieles ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“

Auch Burkhard Dahmen fällt da spontan so einiges ein: „Heute ist es oft so, dass alle vier Wochen ein zweiwöchig­er Anlagensti­llstand zur Wartung stattfinde­t“, sagt Dahmen. Warum das so sei? „Weil das immer schon so war.“Ziel müsse es sein, die Intervalle nicht aus Erfahrung heraus mit großem Vorsichtsa­nteil zu treffen, sondern auf Basis von Daten. „Predictive Maintenanc­e“heißt das Zauberwort. Durch Sensoren und Datenanaly­se lässt sich vorhersage­n, welches Bauteil demnächst wahrschein­lich defekt geht – so dass es rechtzeiti­g ausgetausc­ht werden kann. Dem Unternehme­n erspart das teure Produktion­sausfälle, und der Hersteller der Anlage hat zufriedene­re Kunden.

Und dann ist da natürlich noch das Thema Bedienungs­anleitung: Ein großes Walzwerk von SMS kann rund 400 Meter lang sein, zehntausen­de Teile sind auf dieser Strecke verbaut – und in Konstrukti­onsplänen verzeichne­t. Die Dokumentat­i- on für eine solche Anlage wird laut Wagner dann am Ende schon mal auf einer Europalett­e geliefert. „Wir haben in den USA vor einiger Zeit ein Werk aufgebaut, bei dem wir mehr als 20.000 Zeichnunge­n mitgeliefe­rt haben“, sagt er. Geht etwas kaputt, mussten sich Techniker bislang stundenlan­g durch die Aktenordne­r wühlen, um den Bauplan zu finden, auf dem das defekte Teil verzeichne­t ist. Anschließe­nd müssen sie auf einer zweiten Liste nach der entspreche­nden Materialnu­mmer suchen, bevor sie dann endlich das benötigte Teil bestellen können.

„Der Instandhal­ter braucht eigentlich alle Informatio­nen an der Anlage sofort verfügbar, von der Ersatzteil­liste bis zum Sicherheit­shandbuch“, sagt Wagner. Also arbeiten sie jetzt an einer Lösung – und sorgen so für neuen Gesprächss­toff auf der Hannover Messe.

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FOTO: SMS GROUP Es sind spektakulä­re Anlagen, die die SMS Group produziert – so wie diese Doppelpfan­nenbehandl­ungsanlage bei Big River Steel in Arkansas.

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