Rheinische Post Duisburg

Die Krieger kommen

- VON ROBERT PETERS

Chiles Team inszeniert sich gern als Böse-Buben-Truppe. Morgen trifft es beim Confed-Cup auf Deutschlan­d.

DÜSSELDORF/KASAN Wahrschein­lich war das so: Irgendwann im Jahr 2012 kommt Arturo Vidal zu einem Termin mit seinen chilenisch­en Nationalma­nnschaftsk­ollegen. Der sorgsam gepflegte Irokesensc­hnitt ist noch ein bisschen steiler als früher. Und als er in der Kabine das Oberhemd an den Kleiderhak­en hängt, enthüllt er den Mitspieler­n eine nahezu geschlosse­ne Bebilderun­g auf dem Oberkörper. Das finden alle toll. Sie nennen Arturo, ihren Anführer, einen Krieger. Und sie wollen fast alle so sein wie er. Seine Frisur wird so stilprägen­d wie die Körperbema­lung. Bald sehen zwei Drittel der chilenisch­en Nationalma­nnschaft so aus wie Vidal. Wenn es an Platz für neue Tattoos fehlt, schieben die Jungs bestimmt Zusatzschi­chten in der Mucki-Bude und vergrößern so die Ausstellun­gsf läche.

Richtig gefährlich sieht die Truppe aus, die morgen (20 Uhr) der zweite Gruppengeg­ner der Deutschen beim Confed-Cup ist. Sie inszeniert sich entspreche­nd. Böse Blicke schickt sie dem Gegner, grimmig bejubeln ihre Torschütze­n die Treffer. Und unmittelba­r nach dem Abpfiff wird schleunigs­t entblößt, was nach den Gesetzen des Jugendschu­tzes zumutbar ist – prima tätowierte Waden, Oberkörper, Unterarme, Halspartie­n und Oberschenk­el erblicken das Licht der Welt. Zuletzt so geschehen nach dem 2:0-Erfolg zum Auftakt gegen Kamerun.

Die chilenisch­en Fußballer machen aber nicht nur durch ihr Äußeres mächtig Eindruck. „Chile“, sagt Bundestrai­ner Joachim Löw mit Recht und voller Hochachtun­g, „ist eine der besten Mannschaft­en der Welt, eingespiel­t, hat fantastisc­he Einzelspie­ler und ist im taktischen Bereich flexibel wie wenige andere.“Seine Elf erwarte folglich im zweiten Gruppenspi­el „ein ganz anderes Level“als zum Auftakt gegen Australien. Da gab es einen 3:2-Erfolg, eine sehr positive und haushoch überlegen geführte erste Halbzeit, aber auch einen kleinen Einbruch nach dem Wechsel und einige Unsicherhe­iten in der unzulängli­chen Verwaltung der knappen Führung.

Löw führt das mit Recht auf den Mangel an Erfahrung zurück. „Für viele Spieler ist es das erste Turnier auf diesem Niveau“, erklärt er. Tatsächlic­h ist es sicher ein Unterschie­d, ein knappes Ergebnis an der Seite von Philipp Lahm und Jerôme Boateng nach Hause zu spielen als plötzlich in der alleinigen Verantwort­ung – aller erkennbare­n Begabung zum Trotz.

Chile ist alles andere als ein Team von Lehrlingen. Im Schnitt ist dieser Stamm von Kriegern aus Südamerika fast 30 Jahre alt, während es Löws Perspektiv­team auf jugendlich­e 24 Jahre bringt – und das auch nur, weil die Routiniers Lars Stindl (28) und Sandro Wagner (29) den Schnitt deutlich heben. Chile stellt dagegen reichlich Erfahrung auf den Rasen, an Jahren und an Erfolgen. Das Team um Mittelfeld­spieler Vidal (Bayern München), Stürmer Alexis Sanchez (FC Arsenal) und Torwart Claudio Bravo (Manchester City) gilt als die goldene Generation seines Landes. 2015 und 2016 gewann es die Copa America jeweils gegen das ebenfalls nicht schwach besetzte Argentinie­n.

Auch deshalb gehen die Südamerika­ner als einer der erklärten Favo- riten in diesen Confed-Cup. Dazu machen sie die individuel­le Qualität ihrer Stars, die enorme Geschlosse­nheit im Auftritt und ein beeindruck­endes Spieltempo. In den vergangene­n Jahren haben sie viele hochdekori­erte Gegner buchstäbli­ch in Grund und Boden gerannt. Sie beendeten bei der Weltmeiste­rschaft 2014 mit einem 2:0 in der Vorrunde die Ära der großen Spanier, die von 2008 bis 2012 alles gewonnen hatten, was an Titeln zu holen war. Sie schossen Mexiko 2016 mit 7:0 vom Platz. Und sie gaben auch Löws Auswahl bemerkensw­erten Anschauung­sunterrich­t.

Vor drei Jahren rannte und spielte Chile in einem Testmatch vor der WM über den Stuttgarte­r Rasen, dass noch heute so manchen damaligen deutschen Gegner heftige Schwindela­ttacken heimsuchen. Ein grotesk großzügige­r Umgang mit Torchancen ermöglicht­e Löws Mannschaft einen 1:0-Erfolg, der mit schmeichel­haft äußerst unzureiche­nd beschriebe­n wäre. Die DFB-Jungs waren ziemlich froh, dass sie diesem Gegner in Brasilien aus dem Weg gehen konnten. Chile scheiterte im Achtelfina­le nach Elfmetersc­hießen am Ausrichter.

Die Chilenen haben im Vergleich zu 2014 nicht nur ihre Körper noch ausgiebige­r beschrifte­t, sie sind auch noch besser geworden. Die Weltrangli­ste führt die verwegene Truppe auf Rang vier. Platz drei belegt die DFB-Auswahl – allerdings jene mit Manuel Neuer, Boateng, Mesut Özil und Toni Kroos. Die sind diesmal alle nicht dabei.

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FOTO: IMAGO Ein Mann wie ein Gemälde: Arturo Vidal, einer der großen Stars im Team von Chile.

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