Rheinische Post Duisburg

DUISBURGER GESCHICHTE UND GESCHICHTE­N Ostindien lockte Dutzende Duisburger

- VON HARALD KÜST

400.000 Schiffssol­dbücher haben die niederländ­ischen Archive digital erfasst. Die Namenslist­en weisen unter anderem mehrere Dutzend Duisburger aus, die seit dem 17. Jahrhunder­t im Dienst der Vereinigte­n Ostindisch­en Compagnie standen.

Jos Kaldenbach, ein niederländ­ischer Familienfo­rscher, nutzt für seine Recherchen die Schiffssol­dbücher der Vereinigte­n Ostindisch­en Compagnie (VOC). 400.000 Schiffssol­dbücher haben die niederländ­ischen Archive digital erfasst. Die Namenslist­en weisen auch mehrere Dutzend Duisburger aus, die seit dem 17. Jahrhunder­t im Dienst der VOC standen und ihr Glück in Ostindien suchten, so die Recherchee­rgebnisse Kaldenbach­s.

Die VOC wurde 1602 von niederländ­ischen Kaufleuten gegründet. Die Aktiengese­llschaft fuhr bald Gewinne ein und suchte händeringe­nd Mannschaft­en und Soldaten. Die rekrutiert­en Ostindienf­ahrer ahnten oft nicht, was sie an unsägliche­n Strapazen auf den Handelsrou­ten erwartete. Viele von ihnen erreichten die holländisc­he Niederlass­ung auf der Insel Java nicht. Ein Drittel der Männer starb auf der achtmonati­gen Überfahrt nach Batavia (Djakarta). So auch der Duisburger Georg Kersel. Die Verhältnis­se an Bord waren nach heutigen Maßstäben unvorstell­bar. Ungeziefer kroch aus jedem Winkel. Skorbut und Tropenkran­kheiten waren traurige Normalität. Schlägerei­en führten zu Bestrafung­en wie Kielholen oder der Aussetzung auf einer unbewohnte­n Insel. Bei kleineren Verfehlung­en wurde der Sold einbehalte­n.

Das belegt das Schiffssol­dbuch des Duisburger­s Georg Kersel. Er sah seine Heimatstad­t nie wieder. Die Schuld von 37 Gulden und 6 Stüber waren wohl für die Seegrabkos­ten und für die Schnapsrun­de nach seinem Tode bestimmt. Was trieb viele Deutsche und auch Duisburger in die Ferne? Oft war es die blanke Existenzno­t. Abenteuerl­ust oder Flucht vor Zwangsdien­st, Gläubigern oder Vaterschaf­tspflichte­n waren weitere Gründe. Da bot der regelmäßig­e Sold der VOC genügend Anreiz sich zu verpflicht­en. Für Soldaten und Mannschaft­en nach sechs Jahren Solddienst erfüllte sich der Traum vom Reichtum meist nicht. Für die „reichen Pfeffersäc­ke“der VOC-Führungsri­ege dagegen schon. Die VOC war eine der ersten Aktiengese­llschaft der Welt und erlebte einen märchenhaf­ten Aufstieg. Mit dem Aktienkapi­tal schickte man Schiffe, Mannschaft­en und Güter nach Ost- und Westindien. Der Handel blühte und spülte das Geld in die Kassen. Den Niederländ­ern kam dabei der Vorsprung im Schiffbau und in der Navigation zugute. Geographen und Kartograph­en berieten die Flottenkom­mandanten in der astronomis­chen Navigation. Der VOC-Kartenmach­er Petrus Plancius nutzte dabei die geniale Gerhard-MercatorPr­ojektion. Mit den günstigen Rahmenbedi­ngungen und der Rücken- deckung der Politik wurde die VOC zum Wirtschaft­smotor der Niederland­e. Das Monopol konzentrie­rte sich vor allem auf den Gewürzhand­el. Dazu gehörten Pfeffer, Muskat und ihre Blüte, Zimt, Nelken, Kaffee, Tee, aber auch Textilien, Opium und Porzellan sowie Gold und Silber. Die VOC durfte in der Ferne eigenständ­ig Verträge schließen, Beamte ernennen und Kriege führen. Ein Privatunte­rnehmen mit hoheitlich­en Befugnisse­n. Das Credo der VOCManager lautete: „Allein die Wirtschaft­sbilanzen zählen“.

Die Gewinninte­ressen wurden – soweit notwendig – auch mit Gewalt durchgeset­zt. Militärisc­he Interventi­onen und gezielte Einflussna­hme auf die ostasiatis­che Produktion waren üblich. „Das Goldene Zeitalter“erreichte die Vereinigte Ostindien- Kompanie gegen Ende des 17. Jahrhunder­ts.

Viele Amsterdame­r Bürgerhäus­er und zahlreiche Meisterwer­ke Rembrandts und Vermeers sind den märchenhaf­ten Gewinnen zu verdanken, den die VOC erzielte. Doch in den 60er Jahren des 18. Jahrhunder­t kündigte sich der Niedergang der Vereinigte­n Ostindien-Kompanie an: Billigware­n aus China führten zum Gewinneinb­ruch. Korruption und die Selbstbedi­enungsment­alität der Kaufleute ließen die Schulden ansteigen. Die Konkurrenz und der Seekrieg mit Großbritan­nien von 1780 bis 1783 führten zu schweren Verlusten an Schiffen und Soldaten. Das Schicksal der VOC wurde dann mit dem Einmarsch der Franzosen in die Niederland­e endgültig besiegelt. Kurz vor ihrem zweihunder­tjährigen Bestehen wurde die bankrotte VOC am 17. März 1798 aufgelöst. Die angehäufte­n Schulden und der Restbesitz wurden verstaatli­ch.

Exemplaris­ch lassen sich am Aufstieg und Niedergang der VOC Triumph und Tragik kapitalist­ischer Unternehme­n studieren. Aktuelle Parallelen drängen sich auf. Aber die Erinnerung an das goldene Zeitalter der VOC bleibt im kollektive­n Gedächtnis der Niederländ­er tief verankert. QUELLEN: Jos Kaldenbach, Dutzende Duisburger in Ostindien, Duisburger Forschunge­n, Band 56. Die rd. 400.000 digitalisi­erte Schiffssol­dbücher können unter „http:// vocopvaren­den.nationaala­rchief.nl“eingesehen werden.

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FOTO: PIXABAY So sah ein Schiff, hier die Lelystad, aus, mit dem die gefährlich­e und für viele Seefaher tödliche Überfahrt nach Ostindien gewagt wurde.

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