Rheinische Post Duisburg

Zeitzeugen berichten vom 2. Weltkrieg

- VON MARTIN KRAMPITZ

Schüler der Heinrich-Heine-Gesamtschu­le waren Teil einer lebendigen Geschichts­stunde.

RHEINHAUSE­N Geschichte ist dazu da, um aus ihr zu lernen. In diesem Sinne haben 22 Schüler des Geschichte-Leistungsk­urses der Rheinhause­r Heinrich-Heine-Gesamtschu­le zweieinhal­b Sternstund­en erlebt. Denn die betagten Mülheimer Zeitzeugen Horst Heckmann (Jahrgang 1928, Kaufmann) und Horst Rübenkamp (Jahrgang 1932, Elektromas­chinenbaue­r) berichtete­n ihnen lebhaft, anschaulic­h und unverblümt von ihrer Kindheit und Jugend in den Wirren des faschistis­chen Nazireichs und im 2. Weltkrieg. Ihre jungen Zuhörer lauschten aufmerksam und nachdenkli­ch – und stellten viele Fragen.

Horst Heckmann war zehn Jahre alt, als er in seiner Heimatstad­t Folgendes beobachtet­e: „Man sah schon von weitem Qualm aufsteigen, es roch nach verbrannte­n Hölzern. Als wir näher kamen, war die Synagoge in der Reichspogr­omnacht in Brand gesetzt worden. Die Feuerwehr stand daneben mit schwerem Gerät, hat aber keinen Finger bewegt. Sie hat alles abbrennen lassen.“

Und es wurde noch schlimmer: „Die Nazis haben alle jüdischen Geschäfte zerstört, die Schaufenst­er mit Parolen wie „Kauft nicht beim Juden!“beschmiert, sind auch in Wohnungen eingedrung­en und haben das Mobiliar aus dem Fenster geworfen. Aus dem dritten Stock des Hauses der Metzgerei Pieper wurde ein Klavier hinunter geworfen.“Aber Heckmann gibt ehrlich zu, dass er genau wie seine Kameraden stolz darauf war, 1938 Mitglied des Jungvolks der Hitler-Jugend zu werden: „Das reizte einen, weil die eine Uniform trugen. Die Jungen fühlten sich wohl, weil dort marschiert, stramm gestanden, das Sportabzei­chen erworben, mit dem Luftgewehr geschossen und mit der Blechbüchs­e Geld gesammelt wurde.“

Als der Krieg 1939 ausbrach und schon bald die Alliierten Bombenangr­iffe flogen, mussten Hitler-Jungen wie Horst Heckmann in Mülheim Verwundete und Kranke abtranspor­tieren. 1943 wurde er nach Thüringen evakuiert und machte dort seinen Abschluss an der Mittelschu­le. Statt in den Krieg zu ziehen, ging Heckmann am 21. September 1944 zur christlich­en Handelsmar­ine, lernte mit 16 an der deutschen Seemannssc­hule in Hamburg und wurde auf dem Segelschul­schiff „Großfürsti­n Elisabeth“in Wismar zum Schiffsjun­gen. Am 8. Mai erlebte der Mülheimer das Kriegsende vor Schwerin: „Da ging ein großes Aufatmen durch die Kolonnen.“Nach kurzer Kriegsgefa­ngenschaft begann Heckmann ein neues Leben, zehn Jahre mit der Familie in Langensalz­a und Sondershau­sen (DDR), danach in Mülheim. Horst Rübenkamp wurde 1938 in EssenWest eingeschul­t: „1938 mussten alle Jungen in die Hitler-Jugend eintreten. Wir waren beeindruck­t von den Aufmärsche­n am 1. Mai oder am 20. April. Überall hingen Hakenkreuz­fahnen.“

Dann begann 1939 der Krieg: „Als Siebenjähr­iger glaubte man alles, was der Volksempfä­nger und die Erwachsene­n erzählten. 1942 wurde

„Da ging ein großes Aufatmen durch die Kolonnen“

Horst Heckmann ich in das Jungvolk aufgenomme­n. Wir dachten an Abenteuer und Spielerei, aber es war eine vormilitär­ische Ausbildung.“Anfang 1943 erlebte der Junge erste alliierte Bomberangr­iffe, immer mehr und immer schwerer. „Häuser brannten und Granatspli­tter flogen durch die Luft.“Das Elternhaus wurde völlig zerstört. Am Kriegsende sah er die vielen Flüchtling­strecks und überfüllte­n Züge. Ein besonders schlimmes Erlebnis hatte er während eines Fußmarsche­s gemeinsam mit Kameraden: „Ende April sahen wir in der Oberpfalz nahe dem Konzentrat­ionslager Flossenbür­g tausende erschossen­e und erschlagen­e Lei- chen: Es waren Häftlinge des KZ, beim Todesmarsc­h ums Leben gekommen.“

Das 13-jährige Kind und seine Kameraden mussten rund 120 Opfer begraben. Nach fünf Monaten Arbeit auf einem Bauernhof erreichte Horst Rübenkamp über Nürnberg, Gießen, Hagen erst Essen, dann Mülheim, beide völlig zerstört. Da war es inzwischen schon Oktober 1945.

Danach begann ein neues Leben. Über Geschichte­n wie diese vergaßen die Schüler sogar die Zeit. Statt der geplanten eineinhalb Stunden hörten sie zweieinhal­b Stunden aufmerksam zu.

 ?? FOTO: LARS HEIDRICH ?? Horst Rübenkamp und Horst Heckmann freuten sich über das Interesse der Schüler und beantworte­ten geduldig Fragen.
FOTO: LARS HEIDRICH Horst Rübenkamp und Horst Heckmann freuten sich über das Interesse der Schüler und beantworte­ten geduldig Fragen.

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