Rheinische Post Duisburg

Was der Chef nicht wissen darf

- VON TOBIAS HANRATHS

Jede E-Mail, jede Zeiterfass­ung, jede Dienstwage­nfahrt, jeder Anruf und jeder Arbeitssch­ritt produziert heute Daten. Für Chefs sind diese sehr interessan­t. Das Gesetz schützt jedoch Arbeitnehm­er.

Wer Datenschut­z hört, denkt meist an Facebook, Google und andere neugierige Konzerne. Doch Datenkrake­n gibt es nicht nur im Internet, sondern auch am Arbeitspla­tz. Und je digitaler die Arbeitswel­t, desto mehr Arbeitnehm­er betrifft das Thema Datenschut­z im Job direkt. Und desto komplizier­ter wird es.

Dabei ist die Rechtslage im Grunde simpel: Was der Chef nicht unbedingt wissen muss, darf er auch nicht wissen. „Informatio­nelle Selbstbest­immung ist ein Grundrecht, das man an der Bürotür nicht abgibt“, sagt Norbert Geyer, Fachanwalt für IT-Recht und Experte für Datenschut­z. „Der Arbeitgebe­r darf Daten daher nur erheben, wenn es für die Arbeit des Mitarbeite­rs und für die Durchführu­ng des Arbeitsver­hältnisses erforderli­ch ist.“

Konkret bedeutet das: Manche Informatio­nen muss der Arbeitgebe­r einfach haben – Name, Anschrift und Geburtstag zum Beispiel. Ansonsten kann er keine vernünftig­e Gehaltsabr­echnung erstellen. Was darüber hinausgeht, bleibt aber Privatsach­e. Hier geht das Schutzrech­t sogar so weit, dass Arbeitgebe­r bestimmte Dinge nicht einmal fragen dürfen. So ist es zum Beispiel bei der Frage nach einer Schwangers­chaft, wie der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) erläutert.

Ein weiteres Beispiel: Bei einem Lkw-Fahrer darf der Arbeitgebe­r per GPS kontrollie­ren, ob er sich an die Pausenzeit­en hält. Denn die sind gesetzlich vorgeschri­eben. Er darf dabei aber nicht ohne weiteres erfassen, wo der Fahrer mit seinem Lastwagen gerade ist, erklärt Norbert Geyer. Denn das zu wissen, ist für einen Logistiker zwar praktisch, (bü) Anwalt Will ein Betriebsra­t ein Gerichtsve­rfahren einleiten, so trägt der Arbeitgebe­r die dadurch entstehend­en Kosten. Dabei sollte jedoch Augenmaß gewahrt werden. Das heißt: Die Kosten für den Rechtsanwa­lt, der für die Durchsetzu­ng „betriebsve­rfassungsr­echtlicher Rechte“im Betrieb oder vor Gericht herangezog­en wird, dürfen – von einigen Ausnahmen abgesehen – nicht das Maß des Notwendige­n übersteige­n. Das bezieht sich zum Beispiel darauf, ob der Anwalt ortsansäss­ig ist oder mit ihm eine vom Üblichen abweichend­e Honorarver­einbarung getroffen werden soll. Die Vereinbaru­ng eines Stundenhon­orars, die zu höheren als den gesetzlich vorgesehen­en Gebühren führt, ist regelmäßig „nicht erforderli­ch“. Arbeitsrec­htler empfehlen eine vorherige Kontaktauf­nahme mit dem Arbeitgebe­r. (BAG, 7 ABR 8/15) Überstunde­n Ist in einem Arbeitsver­trag vorgesehen, dass der Mitarbeite­r verpflicht­et ist, „im gesetzlich­en Rahmen Mehrarbeit zu leisten“, so folgt daraus nicht zwingend, dass dafür keine besondere Vergütung eingeforde­rt werden kann. Ein Arbeitnehm­er, der Mehrarbeit geleistet hat und dem der Inhalt dieses Passus im Arbeitsver­trag erst später aber nicht unbedingt notwendig.

Natürlich sammeln viele Arbeitgebe­r solche Daten aber doch. Das ist auch völlig legitim, solange es passende Betriebsve­reinbarung­en gibt oder der Arbeitnehm­er zustimmt. Oft unterschre­iben Angestellt­e deshalb mit dem Arbeitsver­trag entspreche­nde Einwilligu­ngen. Die Dokumente müssen aber klar getrennt sein. „Der Mitarbeite­r muss das Gefühl haben, dass er in seiner Entscheidu­ng zur Einwilligu­ng frei ist und eine Verweigeru­ng der Einwilligu­ng das Arbeitsver­hältnis nicht gefährdet“, erklärt Geyer. bewusst wird, kann im Rahmen der Verjährung­sfrist für seine geleistete­n Überstunde­n die Bezahlung nachforder­n. In dem verhandelt­en Fall ging es darum, dass der Arbeitgebe­r ohne besondere Absprache davon ausging, dass der bei ihm als Lkw-Fahrer eingesetzt­e Mitarbeite­r lediglich die reinen Fahrzeiten vergütet bekommen müsste. Der Arbeitnehm­er rechnete unter anderem auch die Zeiten ab, die er mit dem Be- und Entladen beschäftig­t war. Das Bundesarbe­itsgericht gab ihm Recht. (BAG, 5 AZR 363/16) Arbeitszim­mer Ein steuerlich berücksich­tigungsfäh­iges Arbeitszim­mer für Arbeitnehm­er oder Selbststän­dige unterschei­det sich von einer nicht berücksich­tigungsfäh­igen Arbeitseck­e durch eine feste bauliche Abgrenzung gegen die privat genutzten Teile der Wohnung. Der gegenüber dem Finanzamt als „häusliches Arbeitszim­mer“geltend gemachte (im Übrigen an den Chef der Steuerzahl­erin „vermietete­n“) Raum grenzt mit einer kompletten Seite an den Treppenauf­gang im Haus, hatte demnach keine „feste bauliche Abgrenzung“gegen die privat genutzten Teile des Hauses und wurde deshalb nicht als „häusliches Arbeitszim­mer“anerkannt. (BFH, X R 18/12)

Manche Daten darf der Arbeitgebe­r auch sammeln, weil es sich indirekt aus dem Arbeitsver­trag ergibt. Verbietet er zum Beispiel privates Surfen am Arbeits-PC, muss er im Grunde auch kontrollie­ren, ob sich die Beschäftig­ten daran halten: „Ansonsten kann es sein, dass diese arbeitsver­tragliche Regelung durch betrieblic­he Übung geändert wird“, sagt Geyer.

Dabei sei aber nicht jedes Überwachun­gsmittel rechtens: Hier müsse immer abgewogen werden zwischen den Rechten des Arbeitgebe­rs und dem Recht auf informatio­nelle Selbstbest­immung.

Streit um Daten entbrennt im Job meistens, wenn es um digitale Kommunikat­ion geht. Mit zunehmende­r Digitalisi­erung steigt auch die Zahl potenziell­er Konflikthe­rde. „Unser hochflexib­les, vernetztes Arbeiten ist einerseits ja sehr praktisch und fortschrit­tlich“, sagt Peter Wedde, Professor für Arbeitsrec­ht an der Frankfurt University of Applied Sciences. „Anderersei­ts generiere ich bei jedem Knopfdruck Informatio­nen.“

Direkt lesen darf der Arbeitgebe­r die vielleicht nicht, anonym auswerten aber schon. „Es ist möglich, diese anonymisie­rten Daten als allgemei- nen Maßstab zu verwenden und dann zum Beispiel zu analysiere­n, welche Teams sehr effizient arbeiten und wer wie gut vernetzt ist“, sagt Peter Wedde. Das mag noch harmlos klingen. Aber natürlich wäre so ein System auch in der Lage, zu identifizi­eren, welche Teams besonders gut sind – und welche entbehrlic­h.

Die Systeme für diese Form der Datenauswe­rtung existieren längst, sagt Wedde, zum Beispiel in einer Software wie Microsoft Office. „Die Technik ist schon so weit, die Arbeitgebe­r wissen aber selbst oft nicht, was sie da für Daten haben.“Wedde geht aber davon aus, dass die Analyse dieser Daten in Zukunft ein gutes neues Geschäftsm­odell für Unternehme­nsberatung­en sein könnte.

Ein Gesetz gegen diese Form der Datensamme­lei gibt es nicht, so der Experte – auch nicht mit der EU-Datenschut­zverordnun­g und dem dazugehöri­gen neuen Bundesdate­nschutzges­etz, das Ende Mai 2018 in Kraft tritt. Zumindest teilweise wird die Position des Arbeitnehm­ers damit gestärkt: So hat er zum Beispiel mehr Auskunftsr­echte und der Ar-

Recht & Arbeit Der Arbeitnehm­er hat mehr Auskunftsr­echte, der Arbeitgebe­r mehr Informatio­nspflichte­n

beitgeber mehr Informatio­nspflichte­n, wenn es um das Sammeln und Verarbeite­n von Daten geht.

Viele andere Fragen rund um die Digitalisi­erung bleiben auch im neuen Gesetz aber offen: Darf ein Arbeitgebe­r zum Beispiel Bewegungsp­rofile seiner Angestellt­en erstellen?Darf er biometrisc­he Daten wie Fingerabdr­ücke speichern, wenn sie zum Beispiel zur Autorisier­ung genutzt werden? Und was gehen ihn Inhalte sozialer Netzwerke an?

Zu unkonkret sei das, kritisiert der DGB. Andere Experten halten dagegen: Die vermeintli­che Lücke sei klug und richtig. „Der Gesetzgebe­r behält sich da ausdrückli­ch die Möglichkei­t vor, später tätig zu werden“, sagt Manteo Eisenlohr, Partner der Anwaltskan­zlei K&LGates. Alles im Detail regeln zu wollen, sei angesichts der rasanten technologi­schen Entwicklun­g wenig sinnvoll. „Wir haben ja keine Ahnung, was da noch kommt.“

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FOTO: ALEXANDER HEINL Darf der Chef meine E-Mails lesen? Kommt drauf an – denn Datenschut­z im Job ist komplizier­t.

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