„Ich bin ein Rheinhauser“
Der Autor und Journalist Ali Yakar über sein neues, 10. Buch und ein Leben zwischen den Kulturen
RHEINHAUSEN Erinnerungen gibt es viele. Ali Yakar weiß gar nicht, wo er beginnen soll. Der Arbeitskampf der Kruppianer kommt ihm in den Sinn, er als Gewerkschafter auf der Brücke der Solidarität, auf dem Arm die kleine Tochter. Der Bertha-Platz fällt ihm ein, der Tag, an dem Deutsche und Türken in der Margarethensiedlung aneinander gerieten und er als Schlichter auftrat. Dann zeigt er ein Foto seiner Familie, lächelnde Menschen in Fußballmannschaftsstärke: Ali, seine Frau, drei Töchter, zwei Söhne, sechs Enkel. „Ich bin allein gekommen“, überlegt der 65-Jährige. „Und jetzt sind wir so viele.“
Yakar sitzt eigentlich in unserer Redaktion, um sein neues Buch vorzustellen. „Erinnerungen an Deutschland“bündelt Gedichte und Fotografien, Gedanken und Begegnungen. Für den deutsch-türkischen Autor ist es der 10. Band. Und vielleicht der persönlichste. Gute Gründe, abzuschweifen.
Ali Yakar könnte stundenlang erzählen. Kein Wunder, es kommt einiges zusammen in einem Leben, das 1952 in Etiler im asiatischen Teil Istanbuls begann und über Dortmund bis nach Duisburg führte. In Rheinhausen lebt Yakar seit den 70ern, hier hat er zum zweiten Mal geheiratet, nachdem er jung Witwer geworden ist. Und hier baute er sich eine Existenz auf, als Metallarbeiter bei Krupp, wo schon der Vater be- schäftigt war, später dann bei Mannesmann.
Ali Yakar hat viel erlebt. Er hat als Maurer gearbeitet und im Reisebüro, als Friseur, Verkäufer und Dolmetscher, ein Leben zwischen Jobs und Kulturen, das Unbeständigkeit brachte und den lebhaften Mann mit den freundlichen Augen nie richtig glücklich machte. „In Deutschland war ich immer ein einfacher Arbeiter. Das hat mir nichts gebracht.“Früh begann er mit dem Schreiben. Yakar, der SelfmadeMan. Er wurde freier Journalist, hatte eine Kultursendung auf „Kanal Europa“. Und er fing an, Gedichte zu verfassen. Über den Begriff Heimat, über Gerechtigkeit, Religion, Integration, die Kluft zwischen Arm und Reich. Yakar schrieb auf türkisch, der Sprache der Kindheit, seines Herzens, weil er sich darin am besten ausrücken konnte. 1989 erschien sein erstes Buch. Von da an ging es Schlag auf Schlag.
Eine Aufgabe fand er in der Politik, wo er sich bei der SPD für ausländische Mitbürger einsetzen konnte. Yakar, der Brückenbauer. Bilder zeigen ihn mit Politikern wie Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Herbert Schnoor, Fritz Behrens, Cem Özdemir – besonders nett unterhielt er sich mit NRWs langjährigem Landesvater Johannes Rau, erinnert er sich. Auf anderen Fotos ist er mit türkischen Künstlern und Politikern zu sehen. Einer von ihnen, CHP-Vize Enis Berberoglu,˘ ist heute im Haft. Yakar wird traurig, wenn er an die politische Situation dort denkt. Die Türkei ist entzweit, sagt er, „schlimm, wie sich die Menschen untereinander verhalten.“
Trost findet er im Schreiben. „Ich schreibe jeden Tag, manchmal zwei, drei Gedichte. Ich kann dann einfach nicht aufhören.“Zuletzt erschien der Band „Dost Dilinden Siiler“, was soviel heißt wie „Gedichte in einer befreundeten Sprache“, der erstmals einen deutschen Text enthält. „Inniger Freund“erzählt vom Abschied von Istanbul und der Sehnsucht nach der vergangenen Zeit, melancholisch, fremd und wortgewaltig schön. Das Buch wurde in 2000-facher Auflage gedruckt, einige letzte Exemplare hat Yakar noch daheim.
Sein neues Buch soll in diesem Jahr herauskommen. „Erinnerungen an Deutschland“, ein farbiger Gedichtband, 180 Seiten, in dem sich Fotos und Texte gegenüberstehen. Ein Best-of, eine persönliche Auswahl. Etwa ein Viertel der Gedichte wird auf deutsch erscheinen, kündigt Yakar stolz an. Sie drehten sich um Themen wie Liebe, Sehnsucht und Heimat. „Jeder kann sich darin wiederfinden.“
Wir haben lang geredet. Yakar packt seine Erinnerungen ein. Seit 2010 ist er Rentner und etwas ruhiger geworden. Soviel ist geschehen, seit er Istanbul endgültig verließ, eine Menge Zeit ist vergangen. Und so hat Ali Yakar Wurzeln geschlagen, vielleicht ohne es zu merken. Heute fühlt er sich in Deutschland zuhause. „Ich bin ein Rheinhauser“, schmunzelt er im Kennedy-Tonfall. „Ali Yakar hat sich auf Duisburg eingelassen und lässt uns teilhaben an seinem Leben in seinem Duisburg“, schreibt Oberbürgermeister Sören Link im Vorwort. „Mit diesem Buch wird einmal mehr deutlich: Dichtung besitzt die Kraft, Menschen zu verbinden.“Darüber freut sich Yakar. Sehr sogar.