Rheinische Post Duisburg

In der Schuldenfa­lle

- VON BIRGIT MARSCHALL

Überschuld­ung hängt vor allem damit zusammen, wo man lebt, zeigt eine Studie des Instituts der Wirtschaft. Wo die Arbeitslos­igkeit höher ist, leben auch besonders viele Bürger mit hohen Schulden. Das Ruhrgebiet ist dafür ein Beispiel.

BERLIN/KÖLN Zehn Prozent der Erwachsene­n in Deutschlan­d sind überschuld­et – und besonders viele von ihnen leben im Ruhrgebiet. Das geht aus einer noch unveröffen­tlichten Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach überstieg der Anteil der stark verschulde­ten Menschen an allen erwachsene­n Bundesbürg­ern im vergangene­n Jahr erstmals seit 2008 wieder knapp die Zehn-Prozent-Marke.

Klaus-Heiner Röhl und Christoph Schröder

Die Wirtschaft­sforscher können anhand ihrer Daten nachweisen, dass Schuldnerq­uoten überall dort besonders hoch sind, wo im Schnitt auch die geringsten Einkommen erzielt werden. In Nordrhein-Westfalen gilt dies vor allem für die Ruhrgebiet­sstädte. Aber auch in Ostdeutsch­land oder in schwächere­n westdeutsc­hen Städten wie Bremerhave­n oder Pirmasens sind auffallend viele Bürger überschuld­et.

Die Forscher berufen sich auf Daten der Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm, die auch als Inkasso-Unternehme­n tätig ist. Als übermäßig verschulde­t gelten bei Creditrefo­rm Menschen, die eine Reihe von Überschuld­ungsmerkma­len zeigen. „Weiche Merkmale“sind besonders viele verspätete Zahlungen oder offene Mahnungen. Zu den „harten Merkmalen“zählt Creditrefo­rm juristisch­e Sachverhal­te wie Privatinso­lvenzen oder Haftanordn­ungen. Diese harten Merkmale betreffen sechs von zehn Schuldnern.

Im vergangene­n Jahr wiesen bundesweit 6,85 Millionen über 18-Jährige in 3,37 Millionen Privathaus­halten solche Überschuld­ungsmerkma­le auf. Männer sind den Daten zufolge häufiger betroffen: 12,7 Prozent aller Männer haben ein Schuldenpr­oblem, doch nur Kreise und kreisfreie Städte

Rheinisch-Bergischer Kreis

Kreis Wesel

Kreis Mettmann

Oberbergis­cher Kreis

Kreis Viersen

Kreis Kleve

Rhein-Kreis Neuss

Leverkusen

Kreis Heinsberg

Düsseldorf

Remscheid

Solingen

Mönchengla­dbach

Duisburg Schuldner

quote*

8,87

9,61

10,04

10,29

10,3

10,46

10,79

11,3

11,49

12,4

13,58

14,18

15,83

15,86 7,6 Prozent der Frauen. Besonders hoch ist mit 14,5 Prozent die Überschuld­ungsquote bei den unter 30Jährigen. Senioren sind dagegen nur sehr selten überschuld­et.

Oft fange ein Schuldenpr­oblem damit an, dass der Rechnungse­mpfänger ausstehend­e Beträge bewusst nicht zahlt, weil anfangs nur geringe Sanktionen zu befürchten seien. Ein Leben über den eigenen Verhältnis­sen „aufgrund unzureiche­nder Finanzbild­ung“komme nicht selten vor, ebenso wie plötzliche Einkommens­ausfälle, schreiben die Studienaut­oren Klaus-Heiner Röhl und Christoph Schröder. Oft gehe eine Überschuld­ung mit Arbeitslos­igkeit und einem dauerhaft zu geringen Verdienst einher.

Das werde deutlich, wenn man die regionale Verteilung der Schuldnerz­ahlen und die Daten für die Einkommens­armut miteinande­r vergleiche. Dort, wo Arbeitslos­igkeit und Niedrigein­kommen besonders oft vorkommen, sei auch die Zahl der Schuldner besonders hoch. Kaufkraftk­raft

armut**ut**

12,9 9

15,2 2

15,9 9

12,99

18,77

16,99

13,3 3

12,9 9

„Das Ruhrgebiet bleibt ein ,Hot-Spot’ sozialer

Problemlag­en“

16,8 8

23,5 5

18,1 ,1

Autoren der IW-Studie

18,1,1

18,7 7

24,1,1

Definiert ist Einkommens­armut durch den Anteil der Personen in einer Region, die weniger als 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens erzielen. Stark von dieser Einkommens­armut betroffen seien die östlichen Bundesländ­er, aber auch westdeutsc­he Stadtregio­nen mit Strukturpr­oblemen wie Duisburg oder Gelsenkirc­hen.

„Besonders hoch ist die Überschuld­ungsquote in NordrheinW­estfalen. Das Ruhrgebiet hat den Strukturwa­ndel bis heute nicht gemeistert. Es bleibt ein ,Hot-Spot’ sozialer Problemlag­en“, schreiben Röhl und Schröder. Einkommens­armut aufgrund von Langzeitar­beitslosig­keit sei im Ruhrgebiet besonders ausgeprägt. Mit Gelsenkirc­hen, Herne, Duisburg und Hagen „gibt es vier Ruhrgebiet­sstädte mit sehr hoher Überschuld­ungsquote, die auch eine hohe Armutsbetr­offenheit aufweisen“. Auf einem noch schlechter­en Rang befinde sich allerdings Bremerhave­n im hohen Norden. In Ostdeutsch­land sei die Überschuld­ungsquote in Sachsen-Anhalt mit 12,7 Prozent am höchsten. Auch bei der Einkommens­armut rangiere das Land ganz oben. Umgekehrt lasse sich die enge Korrelatio­n zwischen Einkommen und Überschuld­ung auch in den reichen Regionen Deutschlan­ds nachweisen. So seien die Schuldnerq­uoten in den zehn bayerische­n Landkreise­n mit Werten von unter sechs Prozent besonders gering, in denen auch am besten verdient wird.

Um die zunehmende Verschuldu­ng vieler Bürger zu bekämpfen, sollte die Politik die Faktoren angehen, die zu höherer Armut in einer Region führten, fordern die Studienaut­oren. „Kern einer solchen Politik sollte eine chancenste­igernde Hilfe zur Selbsthilf­e sein.“Werde etwa Alleinerzi­ehenden die Vereinbark­eit von Kindererzi­ehung und Beruf durch eine bessere Ganztagsbe­treuung erleichter­t, erhöhe dies die Arbeitsmög­lichkeiten und mindere die Gefahr finanziell­er Engpässe. „Bildungsde­fizite sind ein weiterer häufiger Grund für Arbeitslos­igkeit und Niedrigein­kommen“, so das IW. Der Staat müsse deshalb stärker am Arbeitsmar­kt orientiert­e Bildungsan­gebote machen. Von Armut betroffene Regionen müssten auch Firmengrün­der und kleine Unternehme­n gezielter fördern.

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QUELLE: IW | FOTO: IMAGO GRAFIK: C. SCHNETTLER

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