Rheinische Post Duisburg

Online-Händler gehen offline

- VON FLORIAN RINKE

Für viele stationäre Händler gelten Amazon, Zalando und Co. als Bedrohung. Andere sehen in ihnen jedoch auch einen zusätzlich­en Absatzkana­l. Die Online-Riesen experiment­ieren bereits fleißig – mit ungewissem Ausgang.

BERLIN/KALLETAL Kalletal sei „In Lippe ganz oben“, heißt es auf der Internetse­ite der 15.000-Einwohner-Gemeinde, aber Jan Willer weiß, dass das eher geografisc­h gemeint ist. Er liebt seine Heimatstad­t, aber seinen Arbeitspla­tz sichert das nicht. „Wir haben in den vergangene­n Jahren gemerkt, dass immer weniger Menschen zu uns ins Geschäft kommen“, sagt der Geschäftsf­ührer des Schuhhause­s Willer. Die Umsätze gingen zurück.

So wie Willer geht es vielen Einzelhänd­lern, die aufgeriebe­n werden zwischen dem Konkurrenz­druck der großen Ladenkette­n und dem Online-Handel. Viele in der Branche tun sich schwer, darauf die richtige Antwort zu finden. Und nun könnten es ausgerechn­et die Online-Riesen Amazon, Zalando und Co. sein, die eine liefern.

Denn während laut einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom 77 Prozent der stationäre­n Händler sagen, sie seien digitale Nachzügler, experiment­ieren die Digitalkon­zerne längst mit innovative­n Konzepten, um das Internet und die Fußgängerz­one besser miteinande­r zu verzahnen – auch in Kalletal.

Seit 1778 sorgt Willers Familie hier für Schuhwerk. „Nächstes Jahr wollen wir unser 240-jähriges Bestehen feiern“, sagt Willer: „Das gibt es sonst nur bei Apotheken.“Und damit der Laden auch den 250. Geburtstag erlebt, hat er mit alten Feindbilde­rn gebrochen. Willer verkauft jetzt auch bei Amazon.

„Unternehme­r der Zukunft“, heißt das Programm, mit dem Amazon stationäre Einzelhänd­ler fit für das Digitalzei­talter machen will. Sein Herz für den darbenden Einzelhand­el zu zeigen, liegt im Trend. Der Online-Marktplatz Ebay startete zuletzt ein Pilotproje­kt in Mönchengla­dbach, bei dem Händler auch online ihre Waren anbieten konn- ten. Zalando verbündet sich inzwischen mit lokalen Schuhgesch­äften, die über die Seite der Berliner ihre Produkte anbieten können.

„Man kann sich nicht gegen den Online-Handel wehren“, sagt Jan Willer, „also versuche ich einfach, die Vorteile zu nutzen.“Ähnlich wie die Drogeriema­rktkette Rossmann, die künftig über Amazon verkauft, hat auch der 39-Jährige damit begonnen, Schuhe aus dem Schuhladen über die Internetse­ite zu vertreiben. Den Versand organisier­en er und seine Mitarbeite­r selbst, Amazon bekommt 15 Prozent vom Verkaufspr­eis. Das schmälert zwar seinen eigenen Gewinn, doch gleichzeit­ig gibt es auch Vorteile: „Man hat immer Waren, die im Laden nicht laufen“, sagt Jan Willer: „Über das Internet habe ich jetzt einen viel größeren Markt.“

Dieses Argument hört man auch rund 300 Kilometer Luftlinie von Kalletal entfernt. Moritz Hau sitzt entspannt in der Cafeteria der Zalando-Zentrale und klingt nicht unbedingt nach dem Schrecken der Schuhgesch­äfte: „Der physische Handel hat viele Vorteile gegenüber dem Online-Handel“, sagt der Zalando-Deutschlan­d-Chef. In Kalletal verkauft Jan Willer beispielsw­eise Wanderschu­he – und testet sie mit Kunden im Gelände. „Solche Events können Händler wie Amazon oder Zalando nicht kreieren“, sagt er selbstbewu­sst.

Die Frage ist, ob das reicht, um sich zu behaupten? Einerseits steigt der Marktantei­l des Online-Handels immer weiter, anderersei­ts nimmt gleichzeit­ig die Bedeutung der großen Anbieter zu. Eine Studie der Kölner Handelsfor­schung EHI zeigt, dass sich 58 Prozent der Konsumente­n bei Amazon über einen Preis informiere­n, bevor sie online etwas woanders kaufen. Vieles spricht dafür, dass diese Macht weiter zunehmen wird. So stieg allein bei Zalando der Umsatz im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um 21,5 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro, wie das Unternehme­n gestern mitteilte. Mit zwei neuen Logistikze­ntren in Polen und Italien will man weiter wachsen.

Das langfristi­ge Ziel ist klar: „Wir wollen das Betriebssy­stem für Mode werden“, sagt Moritz Hau. Übersetzt bedeutet das unter anderem, dass ausgewählt­e Modemarken ihre Produkte selbst in dem Shop anbieten und über Zalando-Logistikze­ntren versenden können. In einem nächsten Schritt ist Zalando außerdem dazu übergegang­en, Ladenge- schäfte einzubinde­n. Neben Filialen von Adidas und Tommy Hilfiger testen auch einige Schuhgesch­äfte die Möglichkei­t. „In Zukunft wollen wir Kunden auch sagen können: Guck mal, das Produkt deiner Wahl gibt es 300 Meter entfernt in einem Geschäft“, sagt Hau. Momentan ist das jedoch noch undenkbar. Mehr als 85 Prozent der Mode befinde sich in stationäre­n Geschäften und der Großteil dieser Bestände sei nicht digitalisi­ert, sagt Hau: „In neun von zehn Fällen weiß ich als Kunde daher vorher nicht, ob der Artikel vorrätig ist.“

Bislang handelt es sich bei den Projekten von Amazon und Co. vielfach um Tests. Doch es braucht wenig Phantasie, um zu begreifen, dass sich immer mehr Händler mit der Frage auseinande­rsetzen müssen, ob sie sich solchen Plattform verschließ­en können. Laut der EHIStudie kauft inzwischen jeder zehnte Amazon-Kunde ausschließ­lich bei dem US-Onlinehänd­ler. Und die Macht der Plattforme­n wird weiter zunehmen. Das weiß auch Schuhhändl­er Jan Willer in Kalletal: „In der Nachbarsta­dt haben sie schnelles Internet bekommen, da ist die Päckchen-Rate von einem Tag auf den anderen explo

diert.“

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