Rheinische Post Duisburg

Heimat finden im Schilderds­chungel

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Wie sich die Sprachenvi­elfalt im Ruhrgebiet im öffentlich­en Raum sichtbar niederschl­ägt, untersucht­e das Forschungs­projekt Metropolen­zeichen in den vergangene­n drei Jahren.

(RP) Das Haltestell­enschild am Weltkultur­erbe Zollverein begrüßt die Gäste in fünf verschiede­nen Sprachen, regionale Spezialitä­tenläden preisen ihre Waren in Polnisch und Deutsch an: Wie sich die Sprachenvi­elfalt im Ruhrgebiet im öffentlich­en Raum sichtbar niederschl­ägt, untersucht­e das Forschungs­projekt Metropolen­zeichen in den vergangene­n drei Jahren. Es verband eine interdiszi­plinäre Wissenscha­ftlergrupp­e der Universitä­ten Duisburg-Essen (UDE) und Bochum (RUB) und wurde durch das Mercator Research Center Ruhr (MERCUR) gefördert.

Türkisch, Deutsch, Englisch, Polnisch, Russisch, Arabisch, Chinesisch: Dass im Ruhrgebiet viele verschiede­ne Heimatspra­chen gesprochen werden, spiegelt sich in dem, was öffentlich­e Wegzeichen wiedergebe­n. Seit 2014 erfasste und bewertete die Forschergr­uppe mehr als 25.000 Straßen-, Geschäfts-, Hinweis- oder Namensschi­lder sowie Plakate, Aufkleber und Graffitis in verschiede­nen Stadtteile­n vier typischer Kommunen nördlich und südlich des „Sozialäqua­tors“A40.

„An ihnen erkennt man nicht nur die Migrations­ströme, sondern auch kultur- und konsumtour­istische Besonderhe­iten“, weiß die Linguistin Prof. Dr. Evelyn Ziegler. Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan ergänzt: „Unsere Studie ist deshalb so besonders, weil wir die visuelle Mehrsprach­igkeit gleich in mehreren Dimensione­n erfasst haben. Wir haben nämlich nicht nur zigtausend Schilder analysiert, sondern zusätzlich auch die Anwohner vor Ort interviewt und um ihre Einschätzu­ng gebeten.“

Die mehrsprach­igen Schilder bezeugen die ethnische Bevölkerun­gsvielfalt in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund. Nachweisen ließ sich dies insbesonde­re in den Stadtteile­n nördlich der A40: In Duisburg-Marxloh sind mehr als ein Viertel aller erfassten Schilder in Türkisch. Fast die Hälfte der hier lebenden nichtdeuts­chen Bevölkerun­g hat einen türkischen Migrations­hintergrun­d. Der örtliche Einzelhand­el ist überregion­al bekannt für seine Spezialisi­erung auf türki- sche Brautmode. Deutlich niedriger ist der Türkisch-Anteil in Essen-Altendorf und Dortmund-Nordstadt (jeweils 7 Prozent).

Bei den südlich der A40 gelegenen Stadtteile­n liegt der Türkisch-Anteil bei 3,2 Prozent in Duisburg-Innenstadt sowie jeweils 0,9 Prozent in Bochum Langendree­r und Dortmund-Nordstadt. Das Arabische (insgesamt 183 Schilder) konzentrie­rt sich vor allem auf Essen-Altendorf und Dortmund-Nordstadt. Hier leben viele Bewohner mit einer irakischen, marokkanis­chen oder libanesisc­hen Staatsange­hörigkeit.

Die drei sichtbarst­en Sprachen in der Metropole Ruhr sind Deutsch, Englisch und Türkisch. Auf sie verteilen sich neun Zehntel aller Sprachvork­ommen: Deutsch (66 Prozent), Englisch (knapp 20 Prozent) und Türkisch (gut 4 Prozent). Französisc­h, Italienisc­h und Spanisch zusammen belegen weitere 4 Prozent aller Textpassag­en.

Die seltenere Sprachkomb­ination von Deutsch-Türkisch-Russisch findet sich zum Beispiel auf einer Mülltonne für Pappe und Papier. Vier oder mehr Sprachen kommen fast gar nicht (0,5 Prozent) auf den Schildern vor.

Ein Viertel der 12.500 ausgewerte­ten kommerziel­len Schilder sind zweisprach­ig, meist werden Deutsch und Englisch kombiniert. Die Migrantens­prache Türkisch spielt im Geschäftsl­eben die größte Rolle, gefolgt von Italienisc­h und Arabisch. In 120 Vor-Ort-Interviews zeigte sich, dass – neben der eige- nen Mutterspra­che – Deutsch und Englisch am meisten wertgeschä­tzt werden.

Polnisch wird im Revier wenig akzeptiert – trotz der zurücklieg­enden Einwanderu­ngsgeschic­hte. Am Ende der Wertschätz­ungsskala rangieren Arabisch und Chinesisch, vermutlich weil deren Schriftzei­chen als fremd wahrgenomm­en werden.

In einer mehrsprach­igen TelefonBef­ragung von 1000 Personen mit und ohne Migrations­hintergrun­d stellte sich heraus, dass knapp 63 Prozent mehrsprach­ige Schilder an öffentlich­en Institutio­nen gut finden: als Orientieru­ngshilfe und zum Abbau von Sprachbarr­ieren. Ein Viertel hat allerdings Probleme damit, dass an Bahnhöfen, Rathäu- sern, Museen und Kindergärt­en Schilder in verschiede­nen Sprachen angebracht sind, weil Migranten „der deutschen Sprache mächtig sein sollten“und die Übersichtl­ichkeit darunter leidet. In den nördlich gelegenen Stadtteile­n ist die Zustimmung größer (73 Prozent statt 53 Prozent in den südlichen Bezirken).

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FOTO: REICHWEIN

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