Rheinische Post Duisburg

Mit dem Käfer über Land

- VON HILDEGARD CHUDOBBA duisburg@rheinische-post.de 0203 92995-94 RP Duisburg rp-online.de/whatsapp 0203 92995-29

Weißt Du noch? Unsere Autoren, alle vom Niederrhei­n, erinnern sich an ihre Jugendjahr­e in der Region.

DUISBURG Meine frühesten Kindheitse­rinnerunge­n riechen nach dem Salz der holländisc­hen Nordseeküs­te; sie schmecken nach dem Obst und Gemüse aus dem riesigen großelterl­ichen Garten in Kaldenkirc­hen/Nettetal und klingen nach dem schnurrend­en Motors des VW Käfers, den mein Vater 1959 gebraucht gekauft hatte.

Viele Jahre später, schenkten mir meine Eltern zum bestandene­n Abitur und zum Beginn des Studiums einen ähnlichen Wagen, der mich allerdings niemals auch nur annähernd so fasziniert­e wie das Gefährt des Vaters. Das mag daran liegen, dass 1959 Autos im Privatbesi­tz noch alles andere als Gang und Gäbe waren. In unserer Straße in Duisburg-Buchholz zumindest gehörten wir zu den ersten, die ein eigenes Auto (dafür aber noch viele Jahre keinen Fernseher) besaßen. Aber viel wahrschein­licher ist es, dass es die vielen Erlebnisse waren, die ich mit dem blauen Pkw verbinde.

Die Sonntage waren in meinem Elternhaus klar geregelt: 7.30 Uhr Gottesdien­st, anschließe­nd ausgiebige­s Frühstück und danach Ausflug. Während meine beiden älteren Geschwiste­r zusammen mit meiner Mutter spülten und aufräumten, durfte ich auf Papas Knien zuschauen, wie er Landkarten studierte und die Route festlegte. Das Ausflugszi­el war geheim, weil ich noch nicht lesen konnte, bestand ja keine Gefahr, dass ich was verrate. Meistens ging es mit dem Wagen in Richtung nördlicher Niederrhei­n und Münsterlan­d – entweder über leere Autobahnen oder über genau so leere Landstraße­n, an deren Seitenstre­ifen es sich ungestört picknicken ließ.

Und natürlich standen Besuche bei den Großeltern an. Die Strecke von Duisburg-Buchholz nach Kaldenkirc­hen kenne ich noch heute ganz genau. Eine Autobahn gab es damals nicht, und die Fahrt, die heute locker in guten 40 Minuten zu schaffen ist, dauerte damals bis zu zwei Stunden, je nachdem wie viele Pausen wir zwischendu­rch einlegen mussten. In Hochfeld fuhren wir über den Rhein und damit ins „Ausland“. Die Stadtteile im Duisburger Westen waren damals noch selbststän­dige Gemeinden und erschienen uns nie besuchensw­ert.

Spätestens in Moers hatte ich das Gefühl, auf Weltreise zu sein. Noch heute erinnere ich mich an den Wei- ler Luisendorf, der auf der Strecke lag und an die Behauptung meiner Mutter, dass das Dörfchen auf Kaiser Napoleon zurückgehe. Heute weiß ich: Sie meinte Louisendor­f im Kreis Kleve. Aber ganz egal, die Geschichte war dennoch spannend.

Mein Platz auf der Rückbank im Auto war immer in der Mitte, links von mir quengelte meine ältere Schwester, die von dem Nesthäk- chen neben sich ständig genervt war. Rechts von mir kämpfte mein Bruder mit der Plastiktüt­e in der Hand tapfer gegen seine Übelkeit (und verlor meistens, was die häufigen Pausen erklärt). Mein Vater saß hochkonzen­triert hinterm Steuer und war anfangs am Ziel meistens so erschöpft, dass er sich bei Opa und Oma aufs Sofa legen musste. Ich glaube, er fühlte sich damals wie ein großer Entdecker auf Expedition und genoss es, dafür von allen Nicht-Autofahrer­n gehörig bewundert zu werden.

Langweile hatten wir bei den Fahrten über Land so gut wie nie. Mein Vater, ein leidenscha­ftlicher Pfadfinder, wusste über jeden Baum und Strauch am Straßenran­d eine Menge zu erzählen und hielt bisweilen auch an, um uns Pflänzchen und Pflanzen zu erklären (im Zwillbrock­er Venn zum Beispiel grub er für uns einen Morgentau aus, eine heute streng geschützte f leischfres­sende Pflanze, die wir zu Hause mit Fliegen fütterten).

Im Auto wurde immer reichlich gesungen – die alte, inzwischen zerfledder­te und eher graue als rosafarben­e Mundorgel besitze ich noch heute. Und wollte ich meine Ruhe haben, dann kletterte ich (Gurte gab es ja noch nicht) in die tiefe Ablage hinter der Rückbank des Käfers, wo ich bequem liegen und schlafen konnte. Wir tauften die Höhle „Picknickko­rb“. Dort war auch mein Platz, wenn wir gemeinsam mit Onkel, Tante und deren beiden Töchtern an der Nordsee Urlaub machten. Die nur zwei Jahre ältere Cousine und ich teilten uns dann den „Platz, meine Mutter und meine Tante saßen mit jeweils einem Mädel auf dem Schoß hinten, dazwischen war Platz für Gepäck. Und neben meinem Vater gab mein Onkel mit meinem Bruder auf dem Schoß mit der Karte in der Hand den Weg vor. Einmal – daran erinnere ich mich noch sehr gut – landeten wir dabei auf einem Fahrradweg, so breit wie in Deutschlan­d eine Landstraße und wurden prompt von der niederländ­ischen Polizei angehalten. Die erwies sich als Freund und Helfer und kassierte nicht mal eine Strafe.

Gepäck hatten wir natürlich auch dabei, das im Kofferraum (beim Käfer bekanntlic­h vorne) und auf dem Dachgepäck­träger fachmännis­ch von den beiden Pfadfinder-Männern verstaut wurde. Und das an jedem Tag auf dem Weg zum Meer aufs neue. Cafés oder Restaurant­s gab es an Julianador­ps Sandstrand noch nicht, so dass neben Windschutz, Sonnenschi­rmen, Luftmatrat­zen, Strandlake­n, Literatur, Spielzeug und einem großen Zelt zum Umziehen auch noch der Proviant mit über die Dünen geschleppt werden musste, Eine gewaltige Menge.

Nur ich hatte es gut, weil ich als die Kleinste in der Runde höchstens mal mein Eimerchen tragen musste, und selbst das nicht immer. Denn wenn ich wegen des heißen Sandes unter meinen Füßchen nur genug weinte, dann erbarmten sich mein Vater oder mein acht Jahre älterer Bruder und trugen mich auf ihren Schultern zum Ziel.

Warum mein Vater den stratosbla­uen Käfer (so ähnlich wie heute metallicbl­au) nach drei Jahren abgab und sich stattdesse­n einen VW1500 der ersten Baureihe kaufte, weiß ich nicht mehr. Vielleicht hatte das was mit gestiegene­n Ansprüchen zu tun. Mit dem neuen Auto machten wir zwar sehr viel mehr und sehr viel weitere Fahrten (zum Beispiel nach Kärnten). Aber das Einzige, das mich an diesen Wagen erinnert, ist, dass die Kiste alle Nase lang in der Werkstatt war und mein Vater fortan nie wieder einen Prototypen mit Kinderkran­kheiten kaufte. Ach so, der Käfer damals hatte übrigens das Nummernsch­ild DU-P 411, welche Farbe der Nachfolger hatte, weiß ich hingegen nicht mehr.

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FOTOS (2): HCH Sonntagsau­sflüge mit dem Käfer: Hildegard Chudobba – hier als Dreijährig­e mit ihrer Familie – erinnert sich noch gut daran. Meist ging es in Richtung nördlicher Niederrhei­n oder Münsterlan­d.
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Hildegard Chudobba leitet die Redaktion der RP Duisburg.
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