Reiches Deutschland – von wegen
An der Ehrenstraße werden jede Woche rund 500 Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt. Der Kirchenkreis auf 15 Jahre „Hochheider Tasche“zurück. Die Erkenntnis: Der Bedarf nach Hilfe ist so groß wie nie zuvor.
HOMBERG (RPN) Mittwochmorgen, Hochheide, Ehrenstraße: In Hauseingängen suchen Frauen und Männer jeden Alters Schutz vor dem Regen. „Einhundertsiebzehn“ertönt ein Ruf vom Haus 14. Aus einem Eingang geht ein Mann in Richtung des Rufenden. Geht an ihm vorbei, verlässt das Grau der Straße und findet sich in einem hellen Geschäftsbereich mit freundlichen Frauen und Männern wieder, die Brot, Nudeln, Tomaten, Quark, Mehl und Zucker über die Ladentheke reichen. Es ist viel, was der Mann für seine zwei Euro bekommt, weit mehr, als er normalerweise dafür kaufen könnte. „Jede Woche kommen 120 bis 130 Menschen in die Hochheider Tasche, wie unsere Tafel vor Ort heißt“, erklärt Cornelia Pauly, Leiterin der Ausgabe der Tafel. „Aber dahinter stehen meist Familien. Insgesamt also unterstützen wir etwa 500 Personen, die über existenziell wenig Geld zum Leben verfügen.“
Um das tun zu können, müssen die Ehrenamtlichen hart arbeiten. Etwa 15 Supermärkte und Geschäfte werden angefahren, Kisten und Tüten müssen geschleppt und transportiert werden. Eine weitere Arbeitsgruppe sortiert die Waren. 45 ehrenamtliche Mitarbeiter verrichten hier an zwei Tagen in der Wochen Schwerstarbeit. „Normalerweise besetzen wir alle Aufgaben doppelt, damit die strikte Organisation auch aufrechterhalten werden kann, wenn eine Person ausfällt. Wenn dann aber gleich zwei ausfallen, muss man improvisieren. Gestern etwa musste ich als Fahrerin einspringen“, sagt die ausgebildete Verwaltungshelferin Cornelia Pauly mit einem Lächeln.
Neben den registrierten Kunden, die regelmäßig kommen, gibt es die, die bislang erst auf der Warteliste stehen. Sie müssen zurzeit auf andere Tafeln ausweichen. „Wir haben ja nur eine bestimmte Menge an Nahrungsmitteln. Wir können auch so schon nicht eine ganze Familie versorgen, sondern immer nur ein Zubrot geben. Würden wir die Lebensmittel auf weitere Personen aufteilen, ist es für niemanden mehr eine Hilfe. Menschen wegschicken zu müssen, ist allerdings ein Zustand, der nur schwer auszuhalten ist.“
Diesen Mangel in der deutschen Gesellschaft, der nicht nur Tafeln nötig macht, sondern auch noch Differenzierungen innerhalb der Hilfsprojekte, kritisiert auch Doris Kroniger, Pfarrerin der Evangeli- schen Kirchengemeinde EssenbergHochheide. Der Reichtum in der deutschen Gesellschaft sei ja immens, gibt sie zu Bedenken. „Wir aber müssen den Mangel verwalten. Das ist ebenso ungerecht wie scheußlich. Unsere Ehrenamtlichen bewältigen einen wichtigen und schweren Job. Dafür können wir als Kirchengemeinden nur ein großes Danke sagen.“
Im Oktober besteht die Tasche seit 15 Jahren. Getragen wird sie von den Evangelischen und Katholi- schen Kirchengemeinden in Hochheide, die auch Versicherungen und Steuern bezahlen. Die ersten beiden Jahre steuerten die sozialen Dienste der beiden Kirchen, Diakonie und Caritas, Geld bei, bis die Tafel auf Spendenbasis funktionieren konnte. Die Aumund Stiftung aus Rheinberg etwa gibt monatlich 200 Euro, Privatspenden ergänzen den Haushalt. Selbst die Staatskanzlei stiftete Geld für Tischdecken und Kaffeegeschirr, damit die Tafel-Besucher ein schönes Ambiente haben, wenn sie, einen Kaffee trinken. Darüber hinaus zahlen die Kunden jeden Einkauf. „Bislang war es ein Euro pro Haushalt, jetzt müssen wir zwei Euro nehmen. Anders können wir die Ausgaben nicht mehr stemmen“, sagt Cornelia Pauly.
Den Hintergrund erläutert HeinzHubert Jansen, der bei der Tasche Finanz-Chef ist. „Die Geschäftsführer der Supermärkte kaufen anscheinend anders ein als früher. Zumindest stehen weniger Nahrungsmittel zur Verfügung, die an uns abgegeben werden können. Wir müssen deutlich mehr zukaufen.“Zudem sind die Preise gestiegen. „Wir geben jedem Kunden Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker, aber Öl zum Beispiel ist deutlich teurer geworden.“Zugekauft wird auch auf dem Hochheider Markt am Mittwoch, wenige Stunden vor der Ausgabe.
Die Solidarität im Stadtteil ist groß. So leiht ein Metzger seinen Kühlwagen, damit verderbliche Waren transportiert werden können, ohne dass die Kühlkette unterbrochen wird. Und die Blumenwerkstatt versorgt den Cafébereich mit hübschen Gestecken.
„Wenn ich höre, es gibt keine Armut in Deutschland, dann kann ich ärgerlich werden“, sagt Cornelia Pauly. Sie sehe das Gegenteil. „Und besonders viele sind Ältere. Sie haben die ganze Tasche voller Medikamente, die vom Arzt verschrieben sind, aber der Kühlschrank ist leer.“
Die Tafel-Mitarbeiter versuchen, die Atmosphäre so freundlich wie möglich zu gestalten. Das ist zumindest ein kleiner Trost. „Peinlichkeit ist nicht dabei, wenn jemand hierherkommt. Im Gegenteil, die Besucher wissen auch, dass wir Tipps haben, an wen man sich wenden kann, wenn man über die reinen materiellen Probleme hinaus noch weitere Sorgen hat.“Offensichtlich geht das Konzept der Freundlichkeit gut auf: Etliche ehemalige Tafel-Gäste arbeiten inzwischen selbst ehrenamtlich mit.