Rheinische Post Duisburg

Kurz vor Kanzler

- VON RUDOLF GRUBER

Der Wahlkampf in Österreich hat gerade begonnen, doch scheint die Wahl bereits entschiede­n: Jungstar Sebastian Kurz führt die Umfragen an.

WIEN Die Parallelen sind frappieren­d. Christian Kern, Spitzenkan­didat der österreich­ischen Sozialdemo­kraten (SPÖ), teilt das Schicksal seines deutschen Genossen Martin Schulz – zuerst von Partei und Medien hochgejube­lt, dann in den Umfragen abgestürzt. Wie bei der SPD kommt auch bei der SPÖ der Wahlkampf nicht in Fahrt: Wie Schulz versucht auch Kern, mit Inhalten zu punkten und findet das zündende Thema nicht, das den Trend noch vor dem Wahltag am 15. Oktober nach oben umkehrt.

Fast schon unheimlich ist eine weitere Parallele: Was Gerhard Schröder für die SPD, ist Alfred Gusenbauer für die SPÖ. Beide prominente Genossen haben mit ihrem starken Drang zum Geld asiatische­r Despoten ihren Parteien mitten im Wahlkampf eine schwere Glaubwürdi­gkeitskris­e eingebrock­t. Dem früheren Kurzzeitka­nzler Alfred Gusenbauer verdankt die SPÖ auch die Zusammenar­beit mit dem schillernd­en Geschäftsm­ann und Wahlkampfs­trategen Tal Silberstei­n, der vor Kurzem wegen Geldwäsche in Israel verhaftet wurde. Die SPÖ beschäftig­e Kriminelle, höhnte die Opposition. Nach tagelangem Zögern gestand Parteichef Kern den Imageschad­en kleinlaut ein: „Ja, es war ein politische­r Fehler“, dass man sich nicht schon früher von Silberstei­n getrennt habe.

Doch der entscheide­nde Fehler passierte Kern schon früher: Er hat den neuen Chef der konservati­ven ÖVP, Sebastian Kurz, unterschät­zt und zu spät als den schärfsten Rivalen erkannt. Vor mehr als einem Jahr, als der ehemalige Bahnchef nach einer parteiinte­rnen Krise als Quereinste­iger ins Kanzleramt kam, hatte er ein umfassende­s Reformkonz­ept vorgelegt, den berühmten Plan A, der Österreich für die Zukunft fit machen sollte. Doch dann kam Kurz, mittlerwei­le 31 Jahre alt: In einer putscharti­gen Inszenieru­ng übernahm er die in Umfragen immer tiefer absinkende ÖVP und ließ kaltschnäu­zig die rot-schwarze Koalition platzen, um über Neuwahlen unbelastet seinen Marsch ins Kanzleramt anzutreten.

Seit rund einem halben Jahr liegt die SPÖ deutlich hinter der ÖVP, nach neuester Prognose sieben Prozentpun­kte. In der Kanzlerfra­ge liegt Kurz sogar mit zwölf Prozent- punkten vor Kern (37 zu 25). Niemals hätte sich die SPÖ gedacht, dass sie mit der rechtspoli­tischen FPÖ um Platz zwei ringen muss.

Kern nahm der politische Alltag voll in Anspruch, und statt eine Strategie auszuhecke­n, verstrickt­en sich die Flügel in eine Debatte, ob man die FPÖ weiterhin ausgrenzen oder deren Chef Heinz-Christian Strache nicht doch als potenziell­en Partner umwerben solle. Die SPÖ findet dazu keine Antwort. Mit dem Thema „Mehr soziale Gerechtigk­eit“glaubte die Kern-Truppe, das zündende Thema gefunden zu haben. Der dazu ersponnene Wahlslogan, „Holt euch, was euch zusteht“, geriet dann doch zu platt und wird eher als Aufforderu­ng zur Plünderung des Staates gedeutet.

Der charismati­sche Kurz schaffte hingegen seinen bisherigen Höhen- flug ganz ohne Parteiprog­ramm – das er erst vor der Wahl präsentier­en will – und mit einem einzigen Themenkomp­lex, wofür ihm das Außenminis­terium die passende Bühne bereitet: Migration und Sicherheit. Die FPÖ sieht hilflos zu, wie sich der talentiert­ere Populist Kurz ihres vermeintli­chen Monopols bemächtigt. Er scheint auch keinerlei Skrupel zu haben, deren umstritten­e Positionen zu übernehmen, etwa ausländisc­hen Arbeitnehm­ern die Kinderbeih­ilfe zu kürzen: „Ich habe kein Verständni­s dafür, dass wir Hunderte Millionen Euro in europäisch­e Staaten überweisen“, so der Wahlkämpfe­r Kurz. Auch seine Gegenposit­ion in der Flüchtling­skrise zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel brachte ihm Sympathien ein.

Umfragen bestätigen Kurz, dass die Mehrheit der Österreich­er ihm glaubt, das Land verändern und festgefahr­ene Strukturen aufbrechen zu wollen. Auch diese Rolle nahm für sich bislang die FPÖ in Anspruch. Der mittlerwei­le 48-jährige Strache hat eingesehen, dass er für einen Politrebel­len zu alt aussieht, insbesonde­re im Vergleich zum Jungspund Kurz. Strache spielt daher auf Staatsmann, er möchte die ewige Opposition­spartei endlich in eine Koalition einbringen. Kurz hätte keinerlei Scheu, mit der FPÖ zu koalieren.

Auch den Grünen, die im Frühjahr nach einem öffentlich ausgetrage­nen Machtkampf mit der Europaparl­amentarier­in Ulrike Lunacek als Spitzenkan­didatin antreten, haben ihr Image als Protest- und Kontrollpa­rtei weitgehend eingebüßt. Die Öko-Partei muss die Halbierung ihrer Stimmen fürchten. Die liberale Neos-Partei könnte sogar aus dem Parlament fliegen. Insgesamt treten am 15. Oktober 16 Parteien und Listen an – so viele wie nie zuvor.

Die rechtspopu­listische FPÖ sieht hilflos zu, wie sich der talentiert­ere

Populist Kurz ihres vermeintli­chen Mono

pols bemächtigt

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