Rheinische Post Duisburg

Gewagtes Spiel

- VON PATRICK SCHERER

Schalkes Trainer Domenico Tedesco setzt seine sportliche­n Überzeugun­gen ohne Rücksicht auf Namen durch.

GELSENKIRC­HEN Wieder mal haben sie sich auf Schalke Mut zugesproch­en. In dieser Saison soll schließlic­h endlich alles komplett anders werden, ein wirklich allerletzt­er Umbruch die Wende zum Guten bringen. Für das Happy End hat Produzent Christian Heidel Regisseur Domenico Tedesco eingesetzt. Und der Vorspann war für die Schalker Seele vielverspr­echend. Tedesco (31) präsentier­te sich in seinen ersten Tagen viel menschlich­er als Vorgänger Markus Weinzierl. Das Bild vom volksnahen Übungsleit­er bekam jetzt aber erste Kratzer. Dass Tedesco der lebenden Schalker Legende Benedikt Höwedes den roten Teppich zum Abschied ausrollte, entfachte Zorn bei großen Teilen des traditione­ll emotionale­n Umfelds. Der Vorgang ist aber ein weiteres Indiz dafür, dass der Trainer sei- nen sportliche­n Plan mit aller Konsequenz verfolgt.

Als die Leihe zu Champions-League-Finalist Juventus Turin perfekt war, ließ Höwedes es sich nicht nehmen, via Facebook ein paar Spitzen Richtung Schalker Führung abzufeuern: „In den letzten Wochen ist dieses Vertrauens­verhältnis mehrfach auf die Probe gestellt worden. Das Kapitänsam­t ist nur ein Teil davon. Reisende kann man aufhalten, wenn man will“, schrieb der 29-Jährige, der 16 Jahre das Schalker Trikot trug. Eine Anspielung auf Tedescos Aussage: „Benedikt bleibt. Grundsätzl­ich sollte man Reisende aber nicht aufhalten.“

Tedesco hatte Höwedes als Spielführe­r entmachtet und ihm mitgeteilt, er habe – wie alle anderen Spieler auch – keine Stammplatz­garantie. Höwedes’ Berater Volker Struth ließ durchblick­en, dass es ein faires Gespräch gewesen sei, in dem deutlich wurde, dass Höwedes bei Tedescos hoch stehender Dreierkett­e nicht die erste Wahl sein werde. Höwedes entschied sich daraufhin, seinen langfristi­g angelegten Plan vom Engagement im

Benedikt Höwedes Ausland kurzfristi­g in die Tat umzusetzen.

Für Tedesco wird dieser Wechsel zum gewagten Spiel. Viele Fans kreiden ihm und Sportvorst­and Heidel an, ein Schalker Denkmal beschädigt zu haben. Die Vorschussl­orbeeren scheinen verwelkt. Einige Anhänger verstehen hingegen die sportliche Notwendigk­eit, einem zuletzt häufig verletzten Innenver- teidiger keinen Freifahrts­chein ausstellen zu können. Dieser Teil der Fans wirft Höwedes vor, nicht um seinen Platz gekämpft zu haben.

Wer die ersten beiden Monate von Tedescos Amtszeit genauer betrachtet, sieht, dass für den Trainer nur zählt, wer sein sportliche­s Konzept am besten umsetzen kann. Vergangene Erfolge und Namen sind dem Deutsch-Italiener egal. Der fast schon wieder verkaufte Yevhen Konoplyank­a ist genauso Teil seiner Planung wie der als Fehleinkau­f abgestempe­lte Franco di Santo. Dafür wurde dem nach langer Verletzung­spause wieder genesenen Publikumsl­iebling Atsuto Uchida mitgeteilt, er könne gehen. Zweitligis­t Union Berlin griff zu. Interessan­t ist auch die Personalie Coke. Der Spanier wurde vor der vergangene­n Saison als Schlüssels­pieler verpflicht­et, riss sich das Kreuzband und wurde als Heilsbring­er für die laufende Spielzeit angepriese­n. Tedesco sieht beim 30-Jährigen dasselbe Problem wie bei Höwedes: fehlende Schnelligk­eit.

Tedesco kümmert sich nicht darum, ob seine Entscheidu­ngen Randgeräus­che hervorrufe­n. Ob diese Art, Regie zu führen, auf Schalke funktionie­rt, hängt nun aber mehr denn je davon ab, ob und wie schnell sich Erfolg einstellt.

Auch wenn es den Schalker Anhägern fernliegt, ihren Blick zu Borussia Dortmund schweifen zu lassen, könnte eine Ausnahme helfen: 2008 trat dort ein gewisser Jürgen Klopp seinen Dienst an. Als erste Amtshandlu­ng sortierte er Publikumsl­iebling Alexander Frei aus, weil der nicht ins laufintens­ive Konzept passte. Dem Aufschrei in der Fanschar folgte der Aha-Effekt, als das Team Klopps Fußballvis­ion verinnerli­cht hatte. Es kam zum Happy End mit drei Titeln.

„Reisende kann man aufhalten, wenn man will“

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FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE Wenn ein Bild eine Geschichte erzählt: Domenico Tedesco (li.) und Benedikt Höwedes vor dem Heimspiel gegen Leipzig am 19. August auf der Ersatzbank in der Schalke-Arena.

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