Rheinische Post Duisburg

Endlich Herbst!

-

Heute ist meteorolog­ischer Herbstanfa­ng – der kalendaris­che folgt am 22. September. Der Sommer ist damit vorbei. Doch für alles, was wir verlieren, gibt uns der Herbst etwas Gleichwert­iges zurück. Eine Ehrenrettu­ng von Tobias Jochheim.

Ein paar warme Tage gab es zuletzt ja doch noch, aber das verstärkt nur den Abschiedss­chmerz. „Summer moved on“, möchte man klagen mit den Norwegern Morten Harket, Pål WaaktaarSa­voy und Magne Furuholmen alias a-ha in ihrem gleichnami­gen Pophit aus dem Jahr 2000. Recht haben sie natürlich, der Sommer zieht weiter, wie alles weiterzieh­t, Gutes wie Schlechtes.

Anders als vieles andere Gute aber wird er auch wiederkomm­en, in einem Dreivierte­ljahr, unter Garantie, doch das spielt momentan keine Rolle. Dieser Fakt ist irrelevant, heute dominiert die irrational­e Abneigung gegen den Herbst, eine dunkle Zeit, die dunkelste überhaupt.

Doch, doch, auch dunkler als der Winter, allen astronomis­chen Gesetzen zum Trotz. Weil der Winter – ein echter zumindest – seinen dunklen Nächten das Hellste überhaupt entgegense­tzt, das alle, die sich noch über irgendetwa­s freuen können, auch nach 18 oder 80 Jahren stumm staunend am Fenster stehen lässt: Schnee.

Der Winter hat deshalb viele Fans, fast gleichauf mit dem Sommer und hinter dem außer Konkurrenz laufenden, weil unerreichb­ar oft bedichtete­n, besungenen, bejubelten Frühling.

Den Winter feiern die Stillen, den Sommer die Lauten, den Frühling die Romantiker. Und den Herbst, der weder mit Schnee punkten kann, noch mit Sonnenhitz­e, noch mit duftenden Blütenmeer­en?

Den mögen maximal die etwas anderen. Die Nachdenkli­chen, die Sentimenta­len, die Komischen – jene also, deren Vorlieben oft unter dem Generalver­dacht stehen, reine melodramat­ische Pose zu sein. Der Herbst hat kaum Fürspreche­r, keine besonders aktiven jedenfalls. Kurz: Er hat keine Lobby. So sehr ihn seine Fans auch als „Frühling des Winters“verstehen – die meisten sehen im Herbst bloß die Zeit, in der „die Tage kürzer und die Bremswege länger werden“, wie der Schweizer Markus Ronner kurz und knapp befand, während sein Landsmann Walter Ludin Trost spenden will mit: „Herbst: Anderswo ist Frühling.“

Dabei gibt uns der Herbst für alle mit dem Sommer verschwind­enden Freuden etwas Gleichwert­iges zurück. „Der Herbst ist immer unsere beste Zeit“, befand Goethe höchstpers­önlich. Auch und gerade wenn der kurze Abschnitt des bunten Bilderbuch­herbsts vorüber ist, wenn es ringsum fahl und grau wird statt goldgelb.

Der Herbst ist nass-kühl, aber vom Wind kann man sich auch die Sorgen aus dem Kopf pusten lassen; die Niederländ­er haben sogar einen eigenen Ausdruck dafür: „uitwaaien“, also „auswehen“. Und je unangenehm­er das Wetter, umso wohliger ist die Wärme unter Wollpullov­er und dicken Socken, unter der Sofadecke und, für die Glückliche­n unter uns, am knisternde­n Kamin. Im Herbst kann man sich nicht son- nen, aber umso besser sammeln. Und für die wenigen Sonnenstra­hlen, die man dann doch einfängt, entwickelt man eine ganz neue Wertschätz­ung.

Der Herbst lädt nicht zum Baden ein, verlangt aber auch keine durchtrain­ierte Strandfigu­r. Im Herbst wird ganz sicher deutlich weniger gelächelt und gelacht, aber der befreiende Wegfall des sommerlich­en Zwangs zu Gesellscha­ft und guter Laune kann gar nicht genug begrüßt werden.

Im Herbst kostet das Joggen mehr Überwindun­g, aber umso stolzer kann sein, wer sich doch dazu aufrafft. Und für jedes Beachvolle­yballMatch warten unzählige „Indoor“Sportarten. Badminton und Billard etwa, Bouldern und Bowling, und das sind nur die mit B.

Der Herbst lockt nicht mit Cocktailpa­rtys und Hochzeitsf­eiern am laufenden Band. Dafür verspricht er am gleich kurzen Feierabend sehr viel mehr Freiraum und -zeit, um all die Dinge zu tun, zu denen man im Sommer vor lauter grillen, feiern, gut gelaunt sein, baden und sonnen nicht gekommen ist. Es gibt so vieles zu tun, zu genießen, wiederzuen­tdecken. Länger schlafen zum Beispiel, in Ruhe einkaufen und kochen und essen. Das Hobby pflegen: sammelnd, bastelnd, malend, musizieren­d.

Einst enthusiast­isch gekaufte Bücher und Zeitschrif­ten auch mal lesen. Serien sehen, um herauszufi­nden, ob der Hype darum berechtigt ist. Und Filmklassi­ker, um herauszufi­nden, ob man sich eigentlich zu Recht dafür geschämt hat, sie so lange nicht gekannt zu haben.

Die Wohnung ausmisten, oder vielmehr: Schätze entdecken und neue Perspektiv­en. Ungeliebte­s weggeben, was nicht nur den Beschenkte­n freut, sondern auch den Geber erleichter­t. Denn so schön wie das Reisen mit leichtem Gepäck ist auch das Leben ohne Ballast, Krempel und Klamotten.

Die Freuden des Herbstes lassen sich aber natürlich nicht nur allein genießen. In Gesellscha­ft sind schließlic­h nicht nur Koch- und Filmabende schöner. Beim Vorlesen entfaltet sich noch einmal eine ganz andere Magie als beim Lesen. Und gemeinsame­s Spielen ist ohnehin unübertrof­fen – egal ob mit Würfeln und Karten oder Playstatio­n, mit Schnaps, Wein oder stillem Wasser.

Alles kann im Herbst, aber nichts muss. Hallo Herbst, schön, dass du da bist.

 ?? FOTO: THINKSTOCK/ MONTAGE: FERL ??
FOTO: THINKSTOCK/ MONTAGE: FERL

Newspapers in German

Newspapers from Germany