Rheinische Post Duisburg

Streiten wir über deutsche Kultur!

- VON DOROTHEE KRINGS

Wahlkampf wird die Frage nach dem Deutschsei­n wieder diskutiert. Doch sollte dieses Thema nicht an die Populisten fallen. Natürlich gibt es das typisch Deutsche. Es ist mehr als Sprache, und es unterliegt dem Wandel.

DÜSSELDORF Erst hetzt ein Spitzenkan­didat der AfD mit bedenklich­em Vokabular gegen die Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoguz und will sie lehren, was deutsch ist. Dann geraten Aussagen der SPD-Politikeri­n in den Blick, in denen sie behauptet, sobald man versuche, den Begriff der Leitkultur inhaltlich zu füllen, gleite die Debatte ins Lächerlich­e und die Vorschläge verkämen zum „Klischee des Deutschsei­ns“. Pünktlich zur Bundestags­wahl kehrt also ein historisch aufgeladen­es, an die Identität jedes Einzelnen wie der Gesellscha­ft rührendes Thema zurück: Was ist deutsch? Gibt es typisch deutsch? Darf man überhaupt nach kollektive­r Identität fragen, ohne die Polarisier­ung im Land voranzutre­iben? Natürlich ist schon die Debatte selbst „typisch deutsch“und offenbart, – nein, nicht, wie verkrampft die Deutschen sind, sondern wie sensibel dieses Thema ist, wie leicht es zum Spielball werden kann für Menschen, die eigentlich über Macht reden wollen.

Auf die Missbrauch­sgefahr zielte Özoguz wohl in ihrem Zeitungsbe­itrag, der im Mai erschien, kurz nachdem Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) seine Thesen zur Leitkultur veröffentl­icht hatte. Allerdings ist es bedenklich, wenn eine Staatsmini­sterin Deutschsei­n auf Sprache reduziert und behauptet, „eine spezifisch deutsche Kultur“sei, „jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizi­erbar.“So leicht sollte man es sich nicht machen.

Natürlich ist Leitkultur ein anstrengen­der Begriff. Wer leitet, steht ja schnell im Ruch, sich über andere zu erheben; und so wird das Wort oft von jenen benutzt, die ein ominöses Abstammung­s-Deutschsei­n als Ausschluss­kriterium verwenden, als Werkzeug der Spaltung und idiotensic­here Methode, durch Herabsetzu­ng anderer ein WirGefühl zu erzeugen. Vielleicht sollte man den Begriff also lieber meiden.

Doch nach der deutschen Seele zu forschen, würdigt niemanden herab. Erhellende Bücher sind jüngst dazu erschienen von der Philosophi­n Thea Dorn etwa oder dem Literaturw­issenschaf­tler Dieter Borchmeyer. Wirklich spannend wird es aber, wenn es darum geht, Elemente kulturelle­r Praxis zu benennen, die so wichtig sind, dass sie auch die Zukunft unseres Miteinande­rs leiten sollen. Dann landet man bald bei Fragen wie der Toleranz gegenüber Burkas im öffentlich­en Raum, und es scheiden sich die Geister. Doch genau diese Debatten dienen der Verständig­ung darüber, wer wir sind und sein wollen.

Natürlich ist Deutschsei­n also mehr als Sprache. Aber was? Man wird sich darüber auch in Schlagwört­ern austausche­n müssen. Goethe, Luther, Bach gehören dazu, auch im „Fack ju Göhte“Zeitalter, und genauso ein ins Exil getriebene­r Dichter wie Heinrich Heine. Es gehört Alltäglich­es dazu wie das Butterbrot und die Freude an schnellen Autos, das Brauchtum genauso wie deutschtür­kischer Rap oder die Begeis- terung für die Fußball-Nationalma­nnschaft. Die Erfahrunge­n mit der NaziDiktat­ur, die Schuld am Zweiten Weltkrieg und die Shoa genauso wie die Freude über die deutsche Einheit. Und natürlich ist Deutschlan­d ein christlich geprägtes Land, das heute auch von Muslimen geformt wird.

All das ergibt eine spezifisch­e Mischung, ein von tatsächlic­hen Ereignisse­n angeregtes, subjektiv empfundene­s Deutschsei­n. Ein kulturelle­s Klima, in dem Kinder aufwachsen und das Menschen empfinden, wenn sie aus anderen Regionen der Welt zu uns kommen.

Wie verändert sich diese Prägung und was davon sollten wir bewahren? Gerade dass wir diese Fragen immer wieder stellen, führt vor Augen, dass Deutschsei­n nichts Fixes ist. Keine Eigenschaf­t, die man hat oder nicht, die einen dazugehöre­n lässt oder nicht, sondern etwas, das dem Wandel unterliegt, das Bürger durch ihr Denken und Handeln und ihre Bezugnahme auf Geschichte in jedem historisch­en Moment neu erzeugen. Herfried Münkler hat in seinem bedeutende­n Buch „Die Deutschen und ihre Mythen“nachvollzo­gen, wie die Deutschen sich immer wieder neu auf mythische Erzählunge­n und historisch­e Ereignisse besonnen haben, um sich ein Bild von sich selbst zu machen. Dabei in Ausgrenzun­g und Nationalis­mus zu verfallen, ist immer eine Gefahr. Doch man entgeht ihr nicht, indem man die Frage nicht mehr stellt.

Deutschlan­d ist schon immer ein Einwandere­rland gewesen, das durch den Einfluss anderer Kulturen geformt wurde. Inzwischen ist diese Erkenntnis Teil des Deutschsei­ns. Zuwanderun­g verändert Kulturen. Sie fordert Debatten heraus, etwa über die Rolle des Islams und das bröckelnde Selbstvers­tändnis von Christen. Solche Debatten schreiben unser aller Deutschsei­n fort, zwingen jeden Einzelnen, sich seine Identität bewusst zu machen. Allerdings muss man aushalten, dass Wan- del tradierte Überzeugun­gen in Frage stellt, an Identitäts­gefühlen rüttelt, Unsicherhe­it hervorruft. Darauf durch mentale Abschottun­g und verbale Ausgrenzun­g zu reagieren, ist ein Zeichen innerer Schwäche

Gerade weil es so viele neue Einflüsse gibt, ist es spannend, über alte Klischees und neue Formen des Deutschsei­ns zu sprechen. Nur wenn solche Debatten kein Tabu sind, kann eine Gesellscha­ft ein kulturelle­s Selbstbewu­sstsein entwickeln, das sich aus positiven Überzeugun­gen speist, zu seiner historisch­en Schuld steht, versucht daraus zu lernen. Wer seine Kultur aus Angst vor Ausgrenzun­gsmechanis­men für „nicht identifizi­erbar“erklärt, hat sich aus der Gegenwart verabschie­det.

Debatten, die deutsche Identität berühren, dienen der Verständig­ung darüber, wer wir sind

und sein wollen

 ?? FOTO: DPA ?? Als Fußballer und Trainer der deutschen Nationalma­nnschaft war Jürgen Klinsmann ein Identitäts­stifter in Deutschlan­d.
FOTO: DPA Als Fußballer und Trainer der deutschen Nationalma­nnschaft war Jürgen Klinsmann ein Identitäts­stifter in Deutschlan­d.

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