Rheinische Post Duisburg

Ein Leben im Büdchen

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Trinkhalle­n gehören zu NRW wie Pommes zur Curry-Wurst. Meist sind es Stammkunde­n, die dort einkaufen und ein Schwätzche­n halten. Der Kiosk von Birgit Fuchs in Duisburg ist seit 44 Jahren Treffpunkt im Viertel. Ein Besuch.

DUISBURG Für Birgit Fuchs beginnt seit 16 Jahren fast jeder Tag mit Brötchensc­hmieren und Kaffeeaufs­etzen. Es ist das Erste, was die 51-Jährige macht, nachdem sie um 6 Uhr ihr Büdchen in DuisburgHo­chfeld aufgeschlo­ssen hat. Belegte Brötchen mit Salami, Käse und Schinken für jeweils 1,50 Euro. Und das Nutella-Brötchen für den Uwe, einen ihrer treusten Stammkunde­n, der immer um 6.15 Uhr direkt von der Nachtschic­ht zu ihr kommt. „Dann trinkt der noch sein Tässchen Kaffee dabei, und wir halten ein Schwätzche­n“, sagt die 51-Jährige, die fast alle, die zu ihr kommen, kennt und duzt. Man sei wie eine große Familie, sagt sie, in der man über alles spreche. „Was ich da

„Was ich da manchmal alles so zu hören bekomme,

Junge, Junge“

Beate Fuchs

Kiosk-Besitzerin

manchmal alles so zu hören bekomme, Junge, Junge. Da fragt man sich schon: Wo soll das noch alles hinführen?“

Ob Kiosk, Bude, kleines Büdchen „umme“Ecke, Trinkhalle, Späti oder Spätkauf – für die historisch gewachsene­n Verkaufsst­ellen gibt es viele Bezeichnun­gen. Trinkhalle­n wie die von Birgit Fuchs gehören zu Nordrhein-Westfalen wie Pommes zur Curry-Wurst. Besonders im Ruhrgebiet, aber auch im Rheinland können sich viele Menschen ein Leben ohne ihr Büdchen kaum vorstellen. Doch jährlich gibt es weniger dieser Verkaufsst­ellen. Viele schließen, weil sich das Geschäftsm­odell oftmals nicht mehr rechnet.

Gründe für das Büdchen-Sterben sind vor allem die Supermärkt­e, die immer länger geöffnet haben, und die Tankstelle­n, die längst über ein ähnliches Sortiment wie die Büdchen verfügen und zudem auch noch 24 Stunden ihre Waren anbieten. Im Ruhrgebiet soll es Schätzunge­n zufolge nur noch 8000 Buden geben. Noch Mitte der 90er-Jahre sollen es mindestens doppelt so viele gewesen sein. Längst sind die Zeiten vorbei, als es am Kiosk nur Zeitschrif­ten, Tabakwaren, Alkohol, Kaugummis und die berühmte bunte Tüte mit Süßigkeite­n gab. Das Sortiment reicht mittlerwei­le von Batterien und Tiefkühlpi­zza bis zum Spargel im Glas.

Auch bei Birgit ist das so. Ihr Kiosk ist seit 44 Jahren Treff- und Anlauf- punkt im Viertel. Eine Institutio­n. Seit sie ihn vor 16 Jahren übernommen hat, habe sie keinen Urlaub gemacht. Nur an einem Wochenende stand sie mal nicht hinterm Tresen. „Da war ich mit meinem Mann Andreas in Berlin. Die Kurzreise hatte ich beim Preisaussc­hreiben in der Zeitung gewonnen.“

Ihr Mann hilft oft in der Trinkhalle aus, kümmert sich um die Bücher und den Einkauf. Hauptberuf­lich arbeitet er als Ingenieur. Seit 16 Jahren verbringt er seine Urlaubstag­e mit seiner Frau – und das immer im Büdchen. Birgit weiß, dass sie ihm viel zumutet, aber sie wolle ihren Laden nicht zumachen und Aushilfen wolle sie auch keine einstellen, weil man denen heutzutage nicht mehr vertrauen könne. „Damit habe ich nur Ärger gehabt. Ich selbst wurde von einer mal beklaut. Seitdem mache ich das nicht mehr.“

Die Geschichte der Trinkhalle­n beginnt vor gut 150 Jahren im Ruhrgebiet, in der Hochphase der Industrial­isierung. Die Wurzeln des Büdchens reichen nach Angaben des Dortmunder Kioskclubs 06 sogar rund 800 Jahre zurück. Damals gab es sie als freistehen­de Pavillons in Persien, Indien und im Osmanische­n Reich. Die Büdchen kamen in Deutschlan­d besonders in Ballungsrä­umen in Mode. Ihre Blütezeit hatten die Buden im Revier während der 1960er-Jahre. Großfabrik­anten versuchten, die Arbeiter dort mit Mineralwas­ser zu versorgen, um den Alkoholkon­sum einzudämme­n. Später bauten die Erfrischun­gsstatione­n ihr Angebot aus: Hefte, Fahrkarten, Getränke, Süßigkeite­n, Spielzeug und Lebensmitt­el, Hygieneart­ikel für die Notversorg­ung.

Am Kiosk von Reza Milani im vornehmen Meerbusch haben die Kunden eine ganz andere Auswahl. Zum Beispiel Champagner zum Preis von 70 bis 100 Euro die Flasche. Milani betreibt Deutschlan­ds wohl nobelste Trinkhalle, das sogenannte Champagner-Büdchen. Auch Kaviar gibt es bei ihm auf Bestellung. Zu seinen Kunden zählen Reiche und Prominente wie Fußballsta­rs und Schauspiel­er, die im kleinen Nachbarort von Düsseldorf wohnen. „Die essen bei mir aber auch ganz normal eine Frikadelle oder ein Würstchen“, sagt er.

Im Büdchen von Birgit Fuchs geht es tagsüber zu wie in einem Tauben- schlag. Ständig kommen und gehen Kunden. Manche bleiben auch. Birgits Mutter Angelika zu Beispiel. Sie isst zu Mittag. Manchmal hilft sie im Laden mit aus. Neben ihr sitzt Frau W., eine der wenigen Stammkunde­n, die nicht geduzt wird, mit ihrem Hund Mona. Sie kommt immer, nachdem sie aufgestand­en ist. Manchmal ist das eben erst mittags. „Hier kann man sich hinsetzen, man sieht Leute, hält ein Schwätzche­n. Schön ist das“, sagt Frau W.

Dann kommt Werner rein. Er ist einer, der offen seine Meinung sagt. Nicht immer politisch korrekt. „Man muss sagen, wie es ist“, sagt Werner. Und meistens ist es nicht gut. Viele, die sich am Büdchen treffen, schimpfen auf die Politiker, weil sie sich von ihnen im Stich gelassen fühlen. Die alteingese­ssenen Parteien haben es besonders schwer, in einem Viertel mit hoher Arbeitslos­enquote und Ausländera­nteil wie in Duisburg-Hochfeld noch Wähler zu finden. „Ich wähle jetzt die AfD“, sagt Werner. „Die SPD macht nichts mehr für uns kleine Leute. Die können mich mal.“Früher sei alles besser gewesen, sagt er. Nirgends hört man diesen Satz so oft wie bei einem Schwätzche­n am Büdchen.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Seit Birgit Fuchs vor 16 Jahren den Kiosk in Duisburg-Hochfeld übernommen hat, hat sie keinen Urlaub gemacht. Nur an einem Wochenende stand sie mal nicht hinterm Tresen. Ihr Mann Andreas hilft oft in der Trinkhalle aus, kümmert sich um die Bücher und...
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