Rheinische Post Duisburg

Tödlicher Hitzschlag: Truppe räumt Fehler ein

- VON GREGOR MAYNTZ

Laut Zwischenbe­richt waren die Soldaten in Munster an einem warmen Tag zu dick bekleidet und mussten zu lange marschiere­n.

BERLIN Sechs Wochen nach dem verhängnis­vollen Fußmarsch von Offiziersa­nwärtern mit einem Toten und zehn Verletzten hat die Bundeswehr ein Fehlverhal­ten von Vorgesetzt­en eingeräumt. Ein neuer Zwischenbe­richt verweist zwar darauf, dass kein Umstand erkennbar sei, der alle Hitzschläg­e der betroffene­n vier Soldaten erklären könne, kritisiert jedoch Vorgaben zur Bekleidung der Teilnehmer sowie Befehle wie Laufschrit­t und Liegestütz­e, die zu den tragischen Entwicklun­gen beigetrage­n hätten.

Kritisch geht der Bericht mit der Entscheidu­ng der Vorgesetzt­en um, die Soldaten vor dem angesetzte­n Gewöhnungs­marsch von sechs Kilometern noch einmal vom Ort der Ausbildung drei Kilometer in die Kaserne zurückzusc­hicken, um vergessene Ausrüstung­sgegenstän­de zu holen. Punkt 1: Bereits vor Verlassen der Kaserne hätte die Ausrüstung überprüft werden müssen. Punkt 2: Der Befehl zu den beiden Zusatzmärs­chen widersprec­he dem Ausbildung­sziel, die Soldaten schrittwei­se an körperlich­e Belastunge­n heranzufüh­ren. Weiter wörtlich: „Phasenweis­e Laufschrit­t, erhöhtes Marschtemp­o oder Liegestütz­e wiederspre­chen der Zielsetzun­g eines solchen Eingewöhnu­ngsmarsche­s und sind zu unterlasse­n.“Und weiter: „Wäre es eine erzieheris­che Maßnahme gewesen, wäre sie falsch.“

Die Abläufe am 19. Juli beim Offiziersa­nwärterbat­aillon im niedersäch­sischen Munster sind inzwischen genau rekonstrui­ert. Danach war der erste Soldat bereits nach 2,7 Kilometern vor dem Erreichen der Kaserne kollabiert; er starb zehn Tage später an den Folgen eines Hitzschlag­es. Der zweite brach kurz vor Ende des Rückmarsch­es zusammen. Er liegt immer noch auf der Intensivst­ation des Hamburger Bundeswehr­krankenhau­ses. Zwei weitere kollabiert­en während des folgenden Eingewöhnu­ngsmarsche­s. Sie konnten inzwischen aus dem Krankenhau­s entlassen werden. Außerdem war eine Soldatin während der Zusatzmärs­che dreimal benommen. Fünf weitere erlitten Verletzung­en oder klagten über Schmer- zen, einer war auf seiner Stube nicht mehr ansprechba­r.

Ein Bundeswehr­sprecher verwies darauf, dass jährlich 20.000 Rekruten derartige Ausbildung­sphasen durchlaufe­n. Niemand könne sich an eine solche Häufung von Auffälligk­eiten an einem einzigen Tag erinnern. Eine generelle Erklärung gebe es dafür nicht, nur eine jeweils „individuel­le Addition mehrerer Faktoren“. Sehr zurückhalt­end geht der Zwischenbe­richt auf Gesundheit­srisiken der Soldaten am Tag der Ausbildung ein. Es seien zwar Medi- kamente, Kreatinpul­ver (zum Muskelaufb­au) und verschiede­ne Energy-Drinks gefunden worden, doch sei die Zuordnung nicht eindeutig. Auch das Asthmaspra­y des später Verstorben­en bedeute keine Belastungs­beschränku­ng. Vor allem lege die nicht erklärbare Häufung von gleichzeit­ig vier Einzelfäll­en des seltenen Krankheits­bildes weitere Untersuchu­ngen nach bislang nicht erkannten Ursachen oder Begleitums­tänden nahe.

Die von den Ausbildern für die Offiziersa­nwärter gewählte Beklei- dung – Splittersc­hutzweste plus Feldjacke – wird von den Medizinern mit Blick auf die Witterung und den Leistungss­tand der Soldaten eindeutig als „unangemess­en“eingestuft. Später kamen sogar noch Helme hinzu. Laut Bericht sind erste Empfehlung­en, nämlich eine „Anpassung der Anzugsrege­lung“, bereits überall im Heer umgesetzt worden. Empfohlen wird zudem, die Ausbildung künftiger Ausbilder zu erweitern und sie insbesonde­re zu schulen, wie Kälte- und Hitzeschäd­en zu vermeiden sind.

Kritisiert wird in dem Bericht zudem, dass gleich mehrere Vorgesetzt­e bei Beginn der Ausbildung im Urlaub waren, insbesonde­re der für die Ausbildung verantwort­liche Kompaniech­ef. Der ist als Disziplina­rvorgesetz­ter nun für die Aufklärung und die daraus zu ziehenden Konsequenz­en verantwort­lich. Dem Vernehmen nach leidet die Untersuchu­ng jedoch darunter, dass die Soldaten vor ihrem Vorgesetzt­en und vor dem Staatsanwa­lt unterschie­dliche Aussagen gemacht haben sollen – möglicherw­eise, weil sie mit unterschie­dlichen Fragen konfrontie­rt wurden. Auch die Ausbilder in Munster seien „emotional mitgenomme­n“, berichtete ein Ministeriu­mssprecher.

Die Staatsanwa­ltschaft Lüneburg ermittelt gegen Unbekannt wegen fahrlässig­er Tötung und fahrlässig­er Körperverl­etzung. Sie veröffentl­ichte inzwischen das Ergebnis der Obduktion, wonach es zu einem „Multiorgan­versagen“gekommen sei und weitere Untersuchu­ngen nötig seien.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen äußerte sich „sehr betroffen von dem Geschen an diesem Ausbildung­stag in Munster“. Es sei wichtig, die Ursachen genau zu analysiere­n, und die richtigen Schlussfol­gerungen zu ziehen, „um das Risiko einer Wiederholu­ng des tragischen Geschehens in Zukunft zu vermindern“. Die Opposition kündigte für eine Sondersitz­ung des Verteidigu­ngsausschu­sses in der nächsten Woche „neue Fragen“an. Diesen müsse die Ministerin „schnell und konsequent“auf den Grund gehen, sagte Bundeswehr­Expertin Agnieszka Brugger von den Grünen.

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FOTO: DPA Einfahrt zur Panzertrup­penschule im niedersäch­sischen Munster. Rekruten dieser Kaserne nahmen im Rahmen ihrer Ausbildung an einem Marsch in großer Hitze teil und kollabiert­en unter den Anstrengun­gen.

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